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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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lasen wir den Artikel, die ersten Worte: Das ist die Arbeit von Raphaël , die besessene Pein eines Mannes, der mit Kraft und Talent seine Furche zieht .
    Morgane schlug mit den Händen auf den Tisch. Sie drückte ihren Bruder an sich, küsste ihn.
    Sie zitterte.
    Sie las laut weiter.
    Überall die gleiche Botschaft, das authentische Testament.
    Sie wiederholte es … Das authentische Testament.
    Raphaël hob den Kopf.
    Morgane lachte.
    »Wie oft verkauft sich so eine Zeitschrift?«
    Wir wussten es nicht.
    Sie las weiter.
    Am Ende standen ein paar Worte über Die Totennäherin:
    … die Apotheose in diesem alten Gesicht, das für sich allein die unendliche Anteilnahme des Künstlers für das Elend seiner Zeitgenossen ausdrückt.
    »Das ist gut, Raphaël, ist das nicht gut?«
    Raphaël nickte. Er deutete ein Lächeln an.
    »Jetzt musst du wohl ein Telefon installieren lassen!«, sagte ich lachend.
    Ich war glücklich für ihn.
    Wir lasen den Artikel noch einmal. Die Ratte rannte zwischen
unseren Gläsern herum. Wir lachten noch, als Lambert hereinkam. Er sah uns an.
    »Ich habe Licht gesehen …«, sagte er.
    Morgane schwenkte die Zeitschrift.
    »Sieh dir das an!«
    Wir machten Platz für ihn, ließen ihn lesen. Seine Augen auf dem Papier. Er las alles aufmerksam. Er nahm sich Zeit. Als er fertig war, schlug er die Zeitschrift zu und sah Raphaël an.
    »Jetzt musst du wohl ein Telefon einrichten lassen.«
    Wir lachten alle los, und Morgane erklärte ihm weshalb.

N an starb am Tag darauf. Ein Muschelsammler hatte ihren Leichnam morgens am Strand gefunden. Er erzählte, er habe etwas Dunkles auf dem Sand gesehen. Er sei näher herangegangen, habe gedacht, es sei eine gestrandete Robbe … Zu dieser Jahreszeit tauchten manchmal welche hier auf, sie kamen aus Schottland oder von der irischen Küste.
    Es war keine Robbe. Es war eine Frau. Die Polizei sagte, Nan sei im Boot zur Insel Bas gefahren. Sie sei gerudert, wie sie es so oft getan hatte. Arme Verrückte … Einmal zu viel. Sie war manchmal dorthin gefahren, vor dieser Insel waren die Ihren gestorben. Sie hatte oft das Bedürfnis verspürt, über dieses Wasser zu rudern.
    In Lilis Café, überall, auf den Straßen, hinter den Vorhängen, alle sprachen nur davon. Eine Tote in einem Dorf mit so wenigen Seelen.
    Die Mutter saß an ihrem Tisch und hörte zu. Sie hatte es noch nicht verstanden. Niemand hatte es ihr erklärt.
    Sie hatte es nur gespürt.
    »Wer ist gestorben?«, fragte sie, die Hand auf der Tischfläche.
    Nicht laut genug, um gehört zu werden.
    »Was ist los?«, fragte sie, weil sie genau spürte, dass etwas geschehen war, dass etwas anders war als sonst.

    Die Adern an ihren Schläfen waren von fast violetter Haut bedeckt. Darunter pulsierte das Blut. War es der Hass, der ihrem Blut diese geradezu brutale Farbe gab? Oder das Vergnügen zu verstehen, dass es die andere war, von der alle sprachen, die Tote?
    »Sie ist endlich krepiert!«, zischte Lili.
    Die Mutter packte sie beim Kleid. Sie wollte, dass Lili es wiederholte. Ich hörte ihre Nägel über den Stoff kratzen, schlechtes Nylon.
    Lili wich zurück, schüttelte die Hand ab.
    »Ist es nicht das, was du wolltest?«
    »Wer ist krepiert?«, fragte sie, Jammern in der Stimme. Entsetzen in den Augen.
    »Die Alte! Bist du nicht zufrieden?«
    Die Mutter fing an zu weinen.
    »Der Alte …«, murmelte sie.
    »Was, der Alte? Nicht er ist gestorben! Die Alte, habe ich gesagt.«
    Der eine oder der andere, wenn der Tod zuschlägt, zuckt man zusammen.
    Die Mutter weinte ihre Angst heraus.
    »Musst schon wissen, was du willst!«, sagte Lili.
    Sie brachte ihr ein Glas Wasser und Tabletten. Sie stellte alles auf den Tisch und wartete daneben, die Arme verschränkt. Die Mutter streckte die Hand aus, sie zitterte, die Finger waren unsicher, sie schaffte es trotzdem, die Tabletten in den Mund zu stecken. Sie schluckte sie.

T héo kannte den Atem des Meeres. Er sagte: »Ich bin aufgewacht und habe gespürt, dass das Meer jemanden geholt hat.«
    Dass sie es war, Florelle.
    Er sagte, dass er es gewusst hatte, bevor die Autos an der Küste standen, bevor der Arzt, die Polizei, die Nachbarn und auch noch andere gekommen waren.
    Das Boot wurde ein paar Stunden später gefunden, ebenfalls von den Wellen an Land getragen. Als hätte das Meer beschlossen, diese Geschichte ein für alle Mal zu beenden.
    Die Polizei errechnete den Zeitpunkt des Todes. Sie sprachen vom Körper, nicht von der alten Nan, sie sagten auch nicht

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