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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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sagen einfiel.
    Er sah mich an.
    »Sie war nicht seine Mutter.«
    »Er wusste es.«
    Ich stellte die Schachtel mit den Briefen auf den Tisch.
    Lambert schaute sie an.
    »Sie gehören Ihnen. Von Théo …«
    Ich ging nach draußen. Hinter der Scheibe sah ich sein Gesicht. Er hatte den ersten Umschlag geöffnet.
    Ich lief einmal ums Haus. Ehe ich Nans Grundstück verließ, wollte ich den Platz finden, an dem Théo das Kind begraben hatte. Er hatte mir den Ort beschrieben. Ein prächtiger Fliederstrauß war darauf gewachsen. Als ich die untersten Äste beiseiteschob, sah ich das kleine weiße Kreuz.
    Ein totes Kind, dessen Namen nun ein anderer trug. War Michel zu diesem Grab gekommen, um sich zu besinnen, als er seine Geschichte erfahren hatte?
    Wie sollte man ihn nennen? Alle Briefe waren mit Michel unterschrieben.
    Ich steckte die Hand in die Tasche und holte ein paar glatte Steine heraus, die ich am Strand aufgesammelt hatte. Auch die beiden Seeohrenschalen. Ich legte alles vor das Kreuz auf den Boden und rückte die Zweige, die ich zur Seite geschoben hatte, wieder sorgfältig zurecht.

    Ich konnte nicht beten, obwohl ich es in diesem Moment gern getan hätte.
    Stattdessen zog ich das Heft aus der Tasche und las die Brieffragmente, die ich im Laufe der Nacht abgeschrieben hatte, Worte, die die Kraft eines Gebetes hatten.
    Angelusläuten am Mittag. Dieselbe Glocke, drei Schläge, dreimal wiederholt, dann schlägt eine andere Glocke zwölfmal, zweimal hintereinander. Ein Hund bellt. Es ist Mittag, aber die Sonne steht niedrig über dem Horizont. Hinter mir wirft sie meinen Schatten auf den Kamin.
    Als ich ging, saß Lambert immer noch am Tisch. Über die Briefe gebeugt.
     
    Ich lief zur Griffue zurück. Am Nachmittag musste ich nach Caen fahren, um meinen Vertrag zu unterschreiben. Raphaël borgte mir sein Auto.
    Seit Morgane weg war, schlief Max im Boot bei der Ratte. Wenn der Abend hereinbrach, kam er zu uns, um ein paar Spalten in seinem Wörterbuch zu lesen. Raphaël hatte ihm gesagt, dass er in die Küche kommen könne, wenn er wolle, aber er behielt lieber seine Gewohnheiten von früher bei.
    Das Früher, als Morgane noch dagewesen war.
    »Ich bin auf der Recherche nach Gedanken«, gestand er uns schließlich.
    Er las im Flur, die Knie angezogen. Er blätterte die Seiten um. Manchmal hob er den Kopf und starrte auf die Tür, auf die weiße Klinke. Bei jeder Kleinigkeit fuhr er auf. Diese Kleinigkeit war die Bachstelze, der Wind oder die Äste auf dem Dach. Manchmal suchte er Morgane. Er vergaß, dass sie weg war.
    Sobald es ihm wieder einfiel, wurden seine Augen plötzlich
ganz weiß. Manchmal ging er noch bis zum Ende der Mole, um dort mit seinem Kummer allein zu sein.
    Er fuhr mit der Flut zum Fischen. Abends oder morgens, einmal sah ich ihn auch nachts hinausfahren. Er fuhr nie weit.
    Er erlernte die Geduld der Seeleute.
    Er fischte mit der Angel und wartete darauf, dass der Heringshai anbiss. Was er fing, verkaufte er. Von dem Geld kaufte er Benzin, damit fuhr er wieder hinaus.

I ch unterschrieb den Vertrag, eine Verpflichtung für zwei Jahre, ich würde einmal in der Woche ins Zentrum kommen müssen. Jeden Donnerstag. Sie würden mir meine Auslagen erstatten. Ich willigte auch ein, ein paar Stunden an der Universität von Cherbourg zu unterrichten. Zu Semesterbeginn sollte ich anfangen.
    Mit dem Vertrag konnte ich in der Griffue bleiben. Ich würde mir ein Auto kaufen müssen.
    Ich verbrachte eine Nacht in Caen. Abends gingen wir alle zusammen in einem Restaurant in der Stadt essen. Wir unterhielten uns, wir lachten. Sie gaben mir Bücher, damit ich meinen Unterricht vorbereiten konnte.
    Ich schlief in einem kleinen Hotel, das sie für mich reserviert hatten.
    Am nächsten Morgen fuhr ich zurück.
    Auf meinem Tisch fand ich einen Zettel vor: Kommen Sie vorbei, sobald Sie können .
    Er war von Théo.
    Ich wusste nicht, wer den Zettel hingelegt hatte, Max vielleicht. Ich ließ meine Tasche im Flur stehen und lief gleich los. Es war mild, ein feuchter Wind vom offenen Meer brachte Nebel mit. Ich breitete die Arme und die Hände
aus. Ich war froh, wieder den Wind von La Hague einzuatmen.
     
    Théo saß an seinem Tisch, das weiße Kätzchen an sich gedrückt. Ich spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Sein Blick, als er den Kopf hob. Aber da war noch etwas anderes.
    »Ich habe auf Sie gewartet.«
    Er trug die grüne Strickjacke, die er immer anhatte, wenn er ausgehen wollte. Die Jacke wurde mit acht

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