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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Perlmuttknöpfen geschlossen. Jeder Knopf hatte die Form eines Ankers. Einer war zerbrochen.
    Es war nicht normal, dass er so früh am Morgen schon fertig angezogen war.
    »Ich war in Caen«, sagte ich.
    Er nickte.
    Sein Morgenmantel lag auf dem Bett, zusammengelegt. Die Katzen schlummerten daneben. Eine von ihnen, die mit mir hereingekommen war, sprang auf einen Stuhl und begann eine lange und gründliche Toilette. Alles war ruhig, fast so wie immer.
    Und trotzdem.
    Ich schaute mich um und sah den Koffer an der Wand stehen. Théo folgte meinem Blick.
    »Wir haben noch etwas Zeit …«
    Das sagte er.
    Er stand auf, kochte Kaffee.
    »Wo fahren Sie hin?«, fragte ich.
    Er strich mit der Handfläche über den Tisch.
    »Ich fahre zu ihm …«
    Er streichelte sanft das schlafende Kätzchen, während er den Kaffee eingoss.
    Der Blick, den er auf mich richtete, war ruhig.

    »Ich werde in einer Zelle von wenigen Quadratmetern leben, von meinem Fenster aus werde ich die Berge sehen.«
    Er trank seinen Kaffee im Stehen, an den Spültisch gelehnt.
    »Ich habe noch nie die Berge gesehen … Der Schnee, das muss etwas ganz Besonderes sein …«
    Er stellte seine Kaffeeschale vorsichtig ab.
    »Michel erwartet mich. Wir haben diese Reise bei seinem Besuch besprochen.«
    Morgane war auch weggegangen, aber Morgane war jung, und er, er war so alt.
    Ich blickte wieder auf den Koffer.
    »Sie fahren einfach weg, so plötzlich?«
    »Ich werde Ihnen schreiben, und Sie werden mir antworten, und dann kommen Sie uns auch besuchen, Grenoble ist ja schließlich nicht so weit weg …«
    Wäre er gefahren, wenn Nan nicht gestorben wäre? Und Nan, war sie gestorben, damit er endlich fahren konnte? Hatte sie in ihrer Verwirrung verstanden, dass er zu Michel gehen würde, sobald sie nicht mehr da wäre? Dass es ihn danach verlangte, wie es sie danach verlangte, zu ihren Toten zu gehen?
    Lamberts Anwesenheit hatte die Gespenster geweckt. Hatte sie auferstehen, heranstürmen lassen, und Nan war ihnen gefolgt.
    Théo sah mich an, als verstehe er den ganzen Inhalt meines Schweigens.
    »Sicher sah sie im Meer … oder glaubte zu sehen … Sie hatte manchmal solche Erscheinungen. Ich hätte sie gern noch mehr geliebt.«
    Dieses Bedauern, nie genug geliebt zu haben. Auch Lambert hätte seinen Bruder sicher gern noch mehr beweint.
    Dein Fehlen, ich hatte es gespürt. Ich spürte es nicht mehr. Ich
hätte es für immer spüren mögen. Dein Fehlen fehlte mir, aber dieses Fehlen warst schon nicht mehr du.
    Théo schob langsam seinen Stuhl an den Tisch. Er tat es zum letzten Mal.
    Die Kaffeeschalen blieben auf dem Tisch stehen, kaum angerührt.
    »Ich gehe noch ein Stück weiter, und dann kommen die letzten Schritte.«
    Das sagte er. Er stützte sich auf den Tischrand und sah seine Katzen an, alle, eine nach der anderen. Er gab jeder ihre Zeit. Unendlich lange Blicke.
    Mit dem Fuß schob er die Wischtücher an die Wand und legte das Kätzchen auf das Bett. Für einen Moment blieb er so stehen, vorgebeugt, die Hände noch unter seinem Bauch. Dann beugte er sich noch tiefer und legte die Lippen auf die Stirn des Tieres. Das Kätzchen rollte sich zusammen. Ich hörte es schnurren.
    Es machte die Augen zu.
    Théo zog die Hände weg.
    Er öffnete ein Schubfach und holte einen braunen Umschlag hervor. Er sagte, das sei Geld, um die Katzen zu füttern. Es werde eine Weile reichen.
    »Ich wollte Max darum bitten, aber Max hat jetzt sein Boot.«
    Er legte den Umschlag auf den Tisch.
    »Ich schicke jeden Monat eine Überweisung, Sie müssen nur den Briefträger fragen, er weiß Bescheid.«
    Er schloss nacheinander alle Knöpfe seiner Strickjacke.
    »So fühle ich mich ruhiger … Vielleicht braucht eine mal einen Tierarzt. Außerdem muss man auch heizen, wenn der Winter kalt ist, und aufpassen, dass das Flurfenster immer offen steht, damit sie rein und raus können …«
    Er rückte seinen Kragen zurecht.

    »Meine Pension wird reichen, dort, wo ich hingehe, brauche ich nichts.«
    Er zog seine Pantoffeln aus und seine Stadtschuhe an. Ich sagte die ganze Zeit nichts. Ich brachte kein Wort heraus.
    »Der Notar ist informiert. Nach meinem Tod geht das Haus an Lili.«
    Ich hörte das Knacken der Pendeluhr, diesen besonderen Moment am Ende jeder Stunde, wenn der große Zeiger zwischen den geheimnisvollen Rastern des Uhrwerks hängen blieb. Wir schwiegen. Bis sich der Zeiger losmachte, gingen zwei Minuten verloren, so, als existierten sie nicht.
    Ein Knacken der

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