Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
Vom Netzwerk:
einen Punkt direkt hinter meiner Schulter.
    »Ich habe die Scheinwerfer ausgeschaltet. Nicht lange …«
    Er bewegte den Kopf, als wollte er sich aus dem Griff dieses Bildes, dieser hartnäckigen Erinnerung befreien. Seine Augen blieben an die Wand geheftet.
    »Die Zeit auf dem Meer will nicht vergehen …«
    Er sagte es und strich sich mit der Hand übers Gesicht, über die neuen Spuren, die das Geständnis geprägt hatte.

    »Jetzt prallen die Vögel weiter gegen das Glas, aber es ist niemand mehr dort, um es zu bemerken.«
    Er trank einen Schluck Wasser.
    »Die Fahrrinnen sind schmal … Manchmal berühren sie fast die Felsen … Man muss sich auskennen. In jener Nacht war das Wetter gar nicht so schlecht. Ich konnte nicht wissen, dass dieses Segelboot vorbeifahren würde.«
    Er sah zur Tür, als wäre da jemand.
    Da war niemand, nur die Erinnerung.
    »Kapitän Gweener hat die Suche geleitet. Ein paar Stunden danach haben Sie den Körper eines Mannes gefunden. Die Frau wurde am nächsten Tag an Land gebracht, die Strömung hatte sie an den Strand gespült.«
    Er drehte sein Glas zwischen den Händen. Ich sah das Meer in seinen Augen, das Segelboot, ich sah alles, was er gesehen hatte, es quoll aus ihm heraus.
    Ein Geständnis, mit leiser Stimme.
    »Das hätten Sie Lambert sagen müssen. Ihm gehört diese Wahrheit, ihm steht sie zu.«
    Er verzog das Gesicht. Das weiße Kätzchen lief mit wiegendem Schritt durchs Zimmer und legte sich auf den Pullover zwischen den Füßen des Ofens.
    Er wartete, bis es sich niedergelassen und die Vorderfüße unter den Bauch gezogen hatte.
    »Ich war noch ein Jahr auf dem Leuchtturm. Ich habe das Licht nie mehr ausgeschaltet. Nachts, wenn die Vögel gegen die Scheibe knallten, sah ich ihnen zu. Ich habe niemals den Blick gesenkt. Nie den Kopf abgewandt. Ich zwang mich hinzusehen, bis zum Ende … Die zerplatzenden Körper … Ich hatte das Gefühl, bezahlen zu müssen. In diesem letzten Jahr sind viele gestorben.«
    »Warum haben Sie nicht die Wahrheit gesagt?«

    Er lachte höhnisch.
    »Natürlich aus Feigheit.«
    »Lambert hat daran gedacht herzukommen, um Sie zu töten.«
    »Ich habe ihn lange erwartet. Eines Tages ist er gekommen, ein paar Jahre nach dem Unfall, er hat über den Zaun mit mir gesprochen. Ich dachte, er würde in der Nacht wiederkommen und mich töten. In jener Nacht bin ich lange wach geblieben.«
    »Hätten Sie sich verteidigt?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich hatte die Tür offen gelassen. Die Mutter war mit Lili oben, sie schliefen. Ich habe ihn erwartet.«
    Er schaute eine Weile auf seine Hände. Er sagte nichts mehr.

Z ehnmal ging ich am Haus vorbei. In der Küche brannte Licht. Ich traute mich nicht hinein, vielleicht weil es Nacht war. Oder wegen dem, was ich ihm zu sagen hatte.
    Dann öffnete ich das Gartentor und schaute durchs Fenster. Ich sah ihn vor dem Kamin sitzen und ins Feuer blicken. Er trug einen dicken Pullover aus heller Wolle.
    Ich sah ihn an, und begriff, dass ich nicht anders konnte, als hineinzugehen.
    Dass ich es tun musste.
    Weil ich gewollt hätte, dass er es für mich tut.
    Ich öffnete die Tür.
    Er schaute kaum auf. Nur das Licht der Flammen erhellte das Zimmer. Ich sah seine Hände in diesem Schein, sein Gesicht. Ein Lächeln glitt über seine Lippen, ich hätte nicht sagen können, ob es Freude war oder Traurigkeit, eher eine Mischung aus beidem, aber vielleicht war es auch etwas anderes, Undefinierbares.
    Ich schloss die Tür hinter mir.
    Es war warm im Zimmer.
    Ich zog meine Jacke aus, holte mir einen Stuhl und setzte mich neben ihn.
    Auf dem Fußboden stand eine Flasche Schnaps, dicht neben
seinen Füßen. Er beugte sich vor, füllte sein Glas und reichte es mir.
    Ich nahm das Glas in die Hand.
    Er wusste, dass ich von dort kam. Die Gestalt, die Théo gesehen hatte, das war er gewesen.
    Ich trank einen großen Schluck, der mir den Magen umdrehte. Die Augen verbrannt, in Tränen ertränkt. Ich wartete, bis es verging, und starrte in die Flammen. Er hatte es nicht eilig, ich auch nicht. Ich trank noch einen Schluck. Meine Augen gewöhnten sich daran, der Alkohol tat mir gut.
    Ich wiederholte alles, was mir Théo gesagt hatte, alles, die Nacht, das Meer, das Licht, ich erzählte ihm vom Tod der Vögel.
    Ich erzählte von den anderen Nächten. Die Vögel, die aus der Nacht auftauchten, aus ihr entsprangen.
    Er nahm mir das Glas aus den Händen, füllte es wieder. Wir tranken.
    Es war ein starker Schnaps, ich merkte, wie ich

Weitere Kostenlose Bücher