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Die Brandungswelle

Die Brandungswelle

Titel: Die Brandungswelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Katzen?«

    »Immer noch.«
    Der Wind drehte, er brachte Wolken heran. Der Regen war für den Abend angesagt, aber er würde früher kommen. Bei diesem Wind würde es keine Stunde mehr dauern.
    »Sollen wir dich mitnehmen?«, fragte er und zeigte auf den Himmel.
    Über dem Meer leuchtete die ganze Palette von Grautönen, bis hin zur schwarzen Masse des Gewitters in der Ferne.
    Ich dachte an die Eier. Die Schalen hatten schon Risse. Gut möglich, dass die Küken während des Regens schlüpften.
    Wir stiegen ein. Die ersten Tropfen zerplatzten auf der Frontscheibe. Der Gruppenleiter lenkte mit einer Hand. Er mochte mich gern. Er war immer geduldig mit mir. Er berichtete mir, dass sie in Caen jemanden suchten, der die Informationen auswertete. Während er es mir erklärte, sah er auf die Straße. Es klang nach einem sicheren, interessanten Job.
    »Du kannst nicht ewig hierbleiben …«
    Er sah mich an.
    Er hatte keinen Ehering, aber einen weißen Abdruck auf der gebräunten Haut.
    Lambert trug auch keinen Ring.
    Er hatte auch keinen Abdruck.
    Ein erster Donnerschlag dröhnte über dem Meer. Ein roter Schein glitt über die Wellenkämme.
    »Wenn es wegen der Wohnung ist, wir haben ein kleines Apartment im Zentrum von Caen.«
    »Ich bleibe lieber hier.«
    Er zuckte die Schultern.
    »Wie du willst.«
    Wir kamen an den ersten Häusern vorbei. Er sah mich wieder an.
    »In den nächsten Tagen kommt ein Team mit dem Boot. Sie
werden vom Meer aus die Nester zählen. Dann korrigieren sie deine Angaben.«
    Ein weiterer Tropfen, dann noch einer. Die Scheibenwischer nahmen die Arbeit auf.
    »Wo soll ich dich absetzen?«
    »Unten.«
    Bis zur Griffue sagte er nichts mehr. Als wir ankamen, schaltete er den Motor nicht aus. Er zog ein Heft aus der Tasche und schrieb seine Telefonnummer auf. Dann riss er die Seite heraus.
    »Ruf mich an, wenn du magst.«
    Er lächelte mich an.
    »Falls du es dir mit Caen anders überlegst.«
    »Ich überlege es mir nicht anders.«
    Er nickte.
    »Man kann nie wissen.«
    Als ich ausstieg, goss es in Strömen.
     
    Die Wände meines Zimmers bewegten sich, ein Stampfen wie in Venedig oder auf dem Deck eines Ozeandampfers. Es kam und ging.
    »Du bist seekrank«, sagte Raphaël, als er mich wieder herunterkommen sah.
    Er amüsierte sich.
    Er holte eine alte Holzpfeife aus dem Schrank und füllte sie mit Kräutern. Er riss ein Streichholz an. Das Kraut fing Feuer. Es brannte einen Moment, dann erloschen die kleinen Flammen. Die Zweiglein im Pfeifenkopf schnurrten zusammen.
    Er zeigte aufs Sofa. Ich legte mich hin. Auf der Decke lagen Brotkrümel und der Rest eines Vandâme-Biskuits noch im Papier.
    »Zieh mal, dann geht’s dir besser.«

    Der Pfeifenkopf war warm. Es roch nach verbrannter Vanille.
    »Ich gehe vielleicht nach Caen«, sagte ich.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Rauch, wir reden später.«
    Ich nahm einen Zug, dann noch einen. Ich war diesen Tabak nicht gewöhnt, musste husten. Raphaël steckte seine Streichhölzer wieder in die Tasche.
    »Was würdest du in Caen machen?«
    »Arbeiten. Da ist jemand, ich glaube, er ist in mich verliebt. Ich könnte ihn lieben …«
    Er zog ungläubig die Brauen hoch.
    »Einen Tag oder zwei, ja … Und dann?«
    »Dann weiß ich auch nicht.«
    Es schwankte immer noch.
    Ich sah ihn an. Seine Finger waren trocken, weiß vom Lehm. Das Licht der Halogenlampe warf unsere Schatten an die Wand.
    »Du hast die ganze Nacht gearbeitet … Ich habe dich gehört, du bist herumgelaufen.«
    »Ich kann eh nicht schlafen, da kann ich genauso gut arbeiten.«
    »Warum kannst du nicht schlafen?«
    »Schläfst du?«
    Ich machte die Augen zu.
    Er ließ mich einen Moment in Ruhe, dann setzte er sich neben mich.
    »Woran denkst du?«
    »Früher hatte ich ein Haus, da, wo ich geboren bin … Ein Haus in einem richtigen Dorf.«
    »Und was ist mit deinem Haus passiert?«
    »Nichts … Jeden Herbst organisieren sie in den Hügeln ein
Autorennen. Das ist ein Höllenlärm, sag ich dir. Sie zerstören auch die alten Mauern, bauen Zonen, sagen, das sei gut für das Geschäft …«
    Raphaël nickte.
    »Guten Geschmack kann man nicht erfinden.«
    Ich lächelte.
    Er legte einen Finger auf meine Lippen.
    »Du bist jetzt still.«
    Er hätte die Hand auf meinen Bauch legen können, wenn er gewollt hätte, ich hätte mich nicht gewehrt.
    »Ich hätte mich nicht gewehrt, weißt du.«
    »Warum sagst du das?«
    »Nur so.«
    Ich war nicht mehr Frau. Nicht Mutter. Ich konnte mich nicht erinnern, Tochter

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