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Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007

Titel: Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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hingewiesen hätte, dass sich Lorenzos anfängliche Befürchtung, die Angreifer hätten sie in den Wald gezerrt und sich an ihr vergangen, bewahrheiten könnte.
    Was immer man monna Clarice angetan hatte, im Wald war es nicht geschehen.
    Der Landbruch stellte sich als die scharfe Kante einer Art gewaltigen Erdrutschs dar, als hätte sich unter dem Boden eine weite Höhle befunden, die irgendwann eingestürzt war. Vom Fuß des Abbruchs zog der Boden sich sanft in die Höhe, bis er weit jenseits der Bruchkante das hiesige Niveau wieder erreichte. Die Bruchkante zog sich etliche Hundert Fuß links und rechts von Lorenzos Standort weiter, bis sie sich in völlig undurchdringlichem Unterholz verflachte. Sie ging senkrecht fünf oder sechs Mannslängen nach unten und endete in einem breiten Streifen schartiger Felsen und Gerölls, das sich dort aufgehäuft hatte und keinen Bewuchs zuließ außer Flechten und kleinem Gesträuch, das aus den Zwischenräumen wucherte. Zwei Männer waren dort unten damit beschäftigt, den reglosen Körper einer Frau an ein Tau zu binden, das von einem der Bäume an der Abbruchkante nach unten führte, nur knapp außerhalb der Reichweite Lorenzos. Lorenzo starrte nach unten und merkte erst, dass er den Atem anhielt, als das Blut in seinen Ohren zu rauschen begann.
    Die Männer trugen die gleiche Ausrüstung wie die Toten beim Reisewagen. Einer hatte den Kopf notdürftig verbunden und eine lederne Klappe über einem Auge, einer schien unverletzt. Eine gespannte und geladene Armbrust lag neben ihnen auf einem Stein. Sie gingen behutsam mit dem schlaffen Körper in dem hellen Kleid um. Auf den Felskanten unweit der Stelle, an der sie arbeiteten, war eingetrocknetes Blut zu sehen, schwarz im Sonnenlicht. Lorenzo bildete sich ein, das Summen der Fliegen darüber zu hören. Die Art und Weise, wie der Kopf der Frau umherpendelte, die Haltung ihrer Gliedmaßen, vor allem aber das viele Blut auf den Felsen und in ihrem Gesicht ließ nur den Rückschluss zu, dass sie tot war.
    Der Mann mit dem Verband um den Kopf sah plötzlich nach oben. Sein gesundes Auge kreuzte die Blicke Lorenzos. Für einen Moment spiegelte sich die gleiche Überraschung in den Pupillen beider Männer. Im nächsten Augenblick schnappte sich der Mann unten die Armbrust, Lorenzo warf sich zurück, und der Bolzen prallte mit einem hässlichen Klang von der Bruchkante ab, wo sich eben noch Lorenzos Kopf befunden hatte, sirrte nach oben und schlug knallend in einen Baumstamm. Kiefernnadeln regneten auf Lorenzo herunter, der sich zur Seite wälzte und noch ein wenig weiter vom Rand zurückrutschte. Er sah die Bestürzung, die seine Männer lähmte, bevor sie sich alle nach vorn warfen, die Fäuste an den Schwertgriffen. Michèle schwang die Armbrust. Lorenzo hielt sie mit ausgestreckten Händen davon ab, näher zu kommen. Dann holte er Atem, ohne aus seiner liegenden Position aufzustehen, und schrie: »Gut Freund!«
    »Leck mich!« Die Steilwand dämpfte den Schall, aber er konnte die Stimme des Mannes dort unten gut verstehen.
    »Nein, wirklich. Gut Freund!« Er schloss die Augen. »Im Namen Gottes und des Geschäfts …«.
    Es dauerte einige Momente, bis die Antwort kam: »… beten wir für das Gedeihen unserer Güter und nicht für den Verderb unserer Konkurrenten.«
    So siehst du aus, dachte Lorenzo, wie er schon gedacht hatte, als Ser Bianchi ihm das mit Ser Tintori vereinbarte Kennwort mitgeteilt hatte.
    »Ich komme wieder nach vorn!«, schrie er. »Einverstanden? Ich habe vier Männer bei mir, aber ich werde allein nach vorn kommen.«
    »Schon gut. Ich habe sowieso keine Bolzen mehr.«
    Der Mann mit der Armbrust und dem Kopfverband sah nach oben und blickte Lorenzo fragend an. Der andere Harnischträger hatte sich so weit wie möglich von seinem Kameraden entfernt. Er wog Steine in der Hand, die groß genug waren, einem Mann den Schädel einzuschlagen, wenn er sie schleuderte und gut treffen konnte.
    »Sind Sie Lorenzo Ghirardi?«, rief der Verletzte. Er stand so dicht neben der Leiche, als wolle er sie auch jetzt noch beschützen.
    »Ja. Und Sie …?«
    »Wo waren Sie so lange?«
    »Wir wurden aufgehalten, weil …«
    »Sie haben sich aufhalten lassen, weil Sie ein Schwachkopf sind.«
    »Ist das …?« Lorenzo deutete auf den Frauenkörper. Der andere Mann senkte den Kopf und sah auf sie hinunter.
    »Das ist monna Clarices Magd«, sagte der Mann. »Wenn sie nicht zu rennen angefangen hätte, wäre das Ganze glimpflich

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