Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
geweckt, und als Magdalena ihre Zelle verlassen hatte, war er mit jedem Schritt stärker geworden. Sie wusste, was er bedeutete. Eigentlich hätte sie die nächsten Tage in stiller Klausur in ihrer Zelle verbringen und das Vorübergehen der Krankheit abwarten müssen; danach hätte sie mit einer Beichte, vielen Gebeten und dem Verrichten niederer Dienste dazu beitragen müssen, dass die Unreinheit, die die Frauen der Erbsünde wegen jeden Monat befiel, wieder von ihr gewaschen wurde. Es fiel ihr schwer, an ihre Regel als Sühne für die Sünde zu glauben, die Eva begangen hatte; immerhin hatte sich Adam nicht weniger schuldig gemacht, indem er den Apfel genommen hatte, und die Männer waren nicht mit demselben Übel geschlagen worden. Es wäre ihre Pflicht gewesen, die Äbtissin über ihren Zustand einzuweihen – doch dann hätte diese sie in die Zelle zurückgeschickt, und alle Entscheidungen wären gefällt worden, ohne dass Magdalena wenigstens dazu angehört worden wäre. Nein, dazu nahm sie lieber den Schmerz und die vermeintliche Sünde in Kauf; blieb nur zu hoffen, dass sie nicht übermäßig bluten würde. Wenn ihre Regel so wie jetzt außer der Zeit kam, pflegte sie zu bluten, als hätte jemand ein Messer in ihr Allerheiligstes gestoßen; sie hatte nicht nur einmal auf ihren letzten eiligen Schritten zum Abtritt eine kleine Tröpfchenspur über den Steinboden gezogen.
»Ihr wünschtet mich zu sprechen, ehrwürdige Mutter?«, sagte Magdalena zu der massigen Gestalt, die vor dem Wandfresko im Kapitelsaal kniete.
»Komm an meine Seite, und bete mit mir, mein Kind«, erwiderte die Äbtissin.
Magdalena kniete vorsichtig nieder. Sie faltete die Hände und hob den Blick zum Kruzifix auf dem Wandfresko. Der gekreuzigte Christus schaute darauf mild auf die beiden Frauen herab, die der Künstler im Vordergrund verewigt hatte: die selige Jungfrau Maria Hand in Hand mit einer Frau in Ordenstracht. Die Ordensschwester auf dem Fresko trug die Züge der Äbtissin. Zuvor hatte sie die Züge einer der Vorgängerinnen getragen, aber die Äbtissin stammte aus einer reichen Familie im nahen Piacenza und hatte es sich leisten können, einen Künstler mit der Überarbeitung des Freskos beauftragen zu können. Wie es Fresken so an sich haben, war die Ausbesserung trotz der ehrgeizigen Bemühungen des Malers stets zu sehen, mit den Jahren sogar deutlicher denn je. Dieser Umstand war für die Äbtissin ein stetiger Anlass zu Gram. Schwester Magdalena hätte ihr mitteilen können, dass genau das herauskommen würde, wenn man ein altes, trockenes Fresko anrührte, aber niemand hatte Magdalena gefragt, und so war diese Erinnerung an das Gebrummel ihres Vaters und ihrer älteren Brüder, die sich in der Werkstatt über unmögliche Aufträge neureicher Patrizier mokierten, in Magdalenas Herz verschlossen geblieben.
Gott hat gefügt, dass die ausgebesserte Stelle in unserem Wandfresko so deutlich zu sehen ist, um uns alle und mich im Besonderen darauf hinzuweisen, dass wir auf den Schultern unserer Vorgänger stehen, pflegte die Äbtissin zu sagen, wenn sie einem Besucher das Wandfresko zeigte, doch Magdalena konnte, wenn auch sonst nichts anderes, stets erkennen, dass die Enttäuschung der Mutter Oberin darüber jeden Tag größer wurde. Mit ihrer Gabe, ihren Mitmenschen ins Herz zu sehen, spürte sie, dass die Äbtissin Magdalenas geheimes Wissen durchaus ahnte und auch jetzt argwöhnte, dass Magdalenas Gedanken sich mit der unsichtbaren Wunde in der Seite ihrer Oberin beschäftigten.
»Herr, wir sehen zu Dir auf und vertrauen Dir unser Tagwerk an«, betete die Äbtissin. »Du lenkst unsere Schritte, Du bestimmst unser Geschick, und was Du für uns bereitet hast, nehmen wir dankbar und in Demut an.«
»Amen«, sagte Magdalena. Ihre Kehle war eng. Sie wollte aufstehen, doch die Äbtissin blieb auf den Knien. Magdalena versuchte, eine bequemere Stellung zu finden. Der harte Steinboden drückte gegen ihre Knie.
»Du wirst unsere Gemeinschaft verlassen«, sagte die Mutter Oberin in die Stille hinein, die nach dem Gebet über den Kapitelsaal gesunken war. Ihre Stimme hallte.
Magdalenas Worte schmerzten in ihrem Hals, als drücke ihn eine unsichtbare Hand zusammen. Der Schmerz in ihrem Unterleib war nicht weniger stark. »Wo der Herr mich hinstellt, dort will ich wirken«, flüsterte sie.
»Deine neue Wirkungsstätte ist das Kloster Santa Giuliana bei Perugia.«
Magdalena wartete, ob die Äbtissin weitersprach, doch als die letzten
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