Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
Silben in der Stille nachhallten, folgte nichts mehr – keine Begründung, keine Erklärung, kein Trost. Die Hoffnung, dass Schwester Radegundis den Namen des Klosters falsch verstanden hatte, war ohnehin schmal gewesen. Magdalena wartete noch einen Augenblick länger, um ihre Stimme in die Gewalt zu bekommen. Sie hörte Schwester Radegundis’ Worte in sich: … vermissen dich jetzt schon. Sie kämpfte einen schweigenden Kampf um ihre Fassung.
»Amen«, sagte sie schließlich.
Die Äbtissin bewegte sich nicht. Der Schleier lag so um ihren gesenkten Kopf, dass Magdalena ihr Gesicht nicht sehen konnte. Statt die Frau neben sich anzustarren, blickte Magdalena in das gemalte Gesicht auf dem Fresko. Eine jüngere, schmalere Version der Mutter Oberin blickte dort in die Ferne. Was andachtsvoll hätte wirken sollen, sah unbeholfen und leer aus, fehl am Platz – vielleicht war der Freskenmaler tatsächlich besser gewesen, als es den Anschein hatte, und er hatte die eigentliche Äbtissin hinter ihrer Fassade aus Demut und Gläubigkeit porträtiert. Magdalena konzentrierte sich auf den Schmerz in ihren Knien und darauf, ihren Unterleib anzuspannen; hätte sie dem viel größeren Schmerz in ihrem Herzen Aufmerksamkeit geschenkt, wäre es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei gewesen.
Die Äbtissin schlug das Kreuz und richtete sich auf. Magdalena tat es ihr mühsam nach. Die Äbtissin trat vor das Fresko und betrachtete es aus der Nähe. Sie fuhr mit dem Finger über die hässliche Linie um die ausgebesserte Stelle herum, strich über das jugendlichere Abbild ihrer selbst innerhalb des Kreises und ließ die Hand schließlich sinken.
»Du darfst sprechen, Schwester Magdalena Caterina«, sagte sie.
»Wobei habe ich gefehlt, ehrwürdige Mutter?«, fragte Magdalena.
Die Äbtissin drehte sich langsam um. Ihr Gesicht unter dem Schleier war reglos, die Straffheit seiner früheren Jahre für immer verschwunden, konserviert in einer hässlichen Stelle auf einem Fresko, die jeder Betrachter sofort als störend empfand. Magdalena fühlte den bohrenden Blick ihrer Oberin auf sich ruhen und erkannte, ohne ihren besonderen Sinn zu benötigen, die Abneigung, die in diesem Blick mitschwang, ohne zu wissen, womit sie sie verdient hatte – jedoch wohl wissend, dass sie schon immer da gewesen war.
»Weshalb betrachtest du die Abordnung nach Santa Giuliana als Strafe, mein Kind?«
Magdalena hätte antworten können: Weil ich gehört habe, dass die Gemeinschaft von Santa Giuliana so klein ist, dass sie nur mit Mühe ihre eigene Arbeit bewältigt und keinerlei gutes Werk in der Welt draußen verrichtet; weil es dort nicht einmal eine Priorin gibt, sondern die Schwestern in allem den Ratschlüssen des Vater Abts von San Salvatore unterworfen sind, ohne dass sie auch nur angehört würden; weil ich weiß, dass dort weder Postulantinnen noch Novizinnen aufgenommen werden, und welche Aufgabe soll ich unter diesen Umständen dort erfüllen, ehrwürdige Mutter, wozu bin ich auf der welt?
Sie brachte die schreiende Stimme in sich zum Schweigen. Stattdessen sagte sie: »Ich betrachte es als Strafe, die Geborgenheit dieser Gemeinschaft verlassen zu müssen, ehrwürdige Mutter.«
»Wir tun alle unsere Pflicht, so wie es die Apostel taten, die der Herr aus ihrer Heimat gesandt hat, um sein Wort zu verbreiten. Schwester Immaculata freut sich in Demut darauf, in Santa Giuliana zu wirken.«
»Schwester Immaculatas Herz ist reiner als das der meisten von uns.«
»Santa Giuliana braucht dringend neues Blut. Die meisten der Schwestern dort sind kurz vor dem Greisenalter. Schwester Radegundis wird ebenfalls dort bleiben. Sie weiß es nur noch nicht.«
»Isa … Schwester Radegundis hat die Profess noch nicht abgelegt.«
»Der Vater Abt von San Salvatore wird sie ihr abnehmen, wenn er die Zeit dafür als gekommen sieht.«
Magdalena senkte den Kopf. Sie spürte, wie der Blick der Äbtissin sie maß. Das Ziehen in ihrem Leib war in den Kopf gestiegen und pochte an der Stelle, an welcher der Nacken endete; sie spürte, wie sich die Wunde in ihr bereit machte, aufzugehen.
»Folge mir«, sagte die Äbtissin plötzlich. Sie wandte sich ab und stapfte in eine entfernte Ecke des Kapitelsaals, wo sie stehen blieb und an einen Schatten an der Wand deutete. Der Putz wirkte hier dunkler und feuchter als anderswo im Kapitelsaal; dünner, als hätten die Steine, aus denen das Kloster bestand und die in allen anderen Räumlichkeiten roh geblieben waren, sich
Weitere Kostenlose Bücher