Die Braut des Kreuzfahrers
gegangen – die verrückte Sklavin würde schon irgendwann wieder aufwachen.
Langsam und stetig machten sich die Folgen der Prügel bemerkbar, die betroffenen Stellen pochten und schmerzten zusehends, doch sie zwang sich, nicht darauf zu achten. Sie blinzelte in das schwarze, sternengeschmückte Gezweig und versuchte herauszufinden, wie weit die Nacht fortgeschritten war. Nur noch ein kleines Weilchen ausruhen, dann wollte sie versuchen, auf die Füße zu kommen und sich an die Mauer des Ziegenstalls kauern. Der Stall, in dem sich ihr Lager und die warme Decke befanden, war jetzt verriegelt, damit die Ziegen nicht in der Nacht davonliefen. Sie würde den Riegel nicht zurückschieben können, aber im Schutz der Mauer war sie wenigstens vor Wind und Regen geborgen.
Sie musste eingeschlafen sein, denn ein leises Geräusch schreckte sie aus einem wirren Traum. Es war der Schritt eines leichten Wesens, vielleicht eine verirrte Ziege, vielleicht auch der Hund, der nicht mehr neben ihr lag. Der blasse Mond ruhte auf einem Ast über ihr, zarte, schwarze Wolkenschleier zogen an ihm vorüber, ein Sternchen blinkte auf und erlosch wieder, funkelte erneut und verschwand.
Eine Gestalt wuchs vor ihr empor, ganz mit einem dunklen Mantel verhüllt, in einer Hand hielt das Wesen ein Messer. Tiessas Herz setzte für einen kleinen Augenblick aus vor Entsetzen – es musste ein Traum sein, ein garstiger Alptraum. Sie hatte sich gewehrt und mit Steinen geworfen – war das ein Grund, sie zu ermorden?
Jemand flüsterte unverständliche Worte, das war kein Mann, sondern eine Frau. Fatima? Nein, eher wohl Sitha. Es klang, als wolle sie die am Boden liegende Sklavin beruhigen. Erschrick nicht, schrei nicht, gib keinen Laut, ich bin es nur. Ich trage ein Messer bei mir. Ein blankes, leicht gekrümmtes Messer, das noch vor kurzem mit großer Sorgfalt geputzt wurde. Sieh, die Klinge blitzt wie blankes Silber.
Tiessa sah, wie sich die helle Schneide auf sie zubewegte, und in einem plötzlichen Entschluss rollte sie sich zur Seite. Sie war gefesselt und trug eine Schlinge um den Hals, aber dennoch würde sie sich nicht wehrlos abstechen lassen. Die hinterhältige Mörderin sollte nur kommen, sie würde sich einen kräftigen Fußtritt einhandeln.
Die Frau war erschrocken zurückgefahren und hatte das Messer in ihrem Gewand verborgen. Jetzt begann sie wieder zu flüstern, lauter als zuvor, man konnte ganz sacht den Klang ihrer Stimme vernehmen. Tiessa begriff plötzlich, dass es Aischa war, die zweite Frau des Burgherren, jenes arme Wesen, das die Liebe ihres Herrn verloren hatte und unter der Fuchtel der alten Fatima krank geworden war. Aber wieso wollte gerade Aischa sie töten?
Die junge Sarazenin kniete sich jetzt nieder und streckte einen Arm nach Tiessa aus. Es sah aus, als wolle sie sie um etwas bitten. Tiessa lag bewegungslos, den Blick starr auf die seltsame Erscheinung gerichtet. Da glitt der Mantelstoff vor Aischas Gesicht auseinander und enthüllte ihre schmalen, kindlichen Züge und die tief liegenden Augen. Endlich begriff Tiessa – Aischa wollte sie nicht töten, sie wollte ihre Fesseln durchtrennen.
Wie um ihr diese Absicht zu beweisen, fasste die junge Sarazenin den Strick, der zu ihrem Hals führte, und schnitt ihn mit dem Messer durch. Sie tat es ungeschickt und hätte sich fast dabei verletzt, vermutlich hatte sie dieses Messer heimlich an sich genommen, auf keinen Fall war es ihr Eigentum. Tiessa sah ihrem Tun zu, ohne sich zu bewegen. Nur hin und wieder blickte sie besorgt zum Haus hinüber, denn sie fürchtete, dass jemand Aischa beobachtet haben könnte. Es war schon gegen Morgen, die Sterne wurden bleich und verschwanden, auch die Mondenschale sank hinter die Burgmauern. Bald würden die Hähne krähen und die Mägde gingen in den Stall, um die Ziegen zu melken. Weshalb hatte sich das dumme Mädchen erst jetzt zu dieser Befreiung entschlossen? Wie sollte ihr die Flucht gelingen, wenn man ihr Verschwinden schon nach kurzer Zeit bemerkte?
Sie spürte, wie sich die kühle Klinge unter die Fesseln schob, und sie hielt die Luft an, da sie fürchtete, Aischa könne das Messer ausrutschen. Die junge Frau säbelte verbissen an den fest zusammengedrehten Stricken herum, und Tiessa grübelte schon darüber nach, in welche Richtung sie sich wenden könnte, wo sie vielleicht Unterschlupf fand, wo sie sich tagsüber verstecken könnte. Herr im Himmel – sie kannte weder Weg noch Steg, und die Bauern der Umgebung waren Mehmed
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