Die Braut des Kreuzfahrers
könne freiwillig verschmachten. Sie hütetete sich auch, Tiessa ganz und gar die Nahrung zu entziehen, und als die Regenzeit begann, sorgte sie dafür, dass im Ziegenstall eine wärmende Decke lag. Das tat sie ganz sicher nicht aus Freundlichkeit. Die Christin Tiessa war ihr Besitz, genau wie die Tiere, die Felder oder das Haus. Man ruinierte seine Habseligkeiten nicht mutwillig, man pflegte sie, damit sie in Ordnung waren, wenn sie gebraucht wurden.
Das war Fatimas Schwäche, und Tiessa nutzte sie. Tagelang weigerte sie sich, die aufgetragenen Arbeiten zu verrichten, hockte stattdessen unter dem Feigenbaum und starrte vor sich hin. Bekam sie nichts zu essen, tat sie so, als kümmere sie das nicht. Nach ein oder zwei Tagen gab die Alte nach und ließ ihr eine Schüssel mit Gemüse bringen, ein Napf voller Futter, wie man ihn einem Hund hinstellte. Tiessa war dann so ausgehungert, dass sie sich heftig zusammennehmen musste, um nicht wie eine Wilde über die Nahrung herzufallen. Sie genoss ihren Triumph langsam und mit großer Würde, denn sie wusste genau, dass Fatima sie dabei mit boshaften Augen beobachtete.
An kalten Regentagen, wenn sie frierend im feuchten Ziegenstall saß, überkam sie die Verzweiflung. Wie tief war sie gesunken. Noch vor wenigen Monaten war sie die Tochter des gräflichen Verwalters gewesen, hatte adeligen Frauen gedient und war von ihnen wie ihresgleichen behandelt worden. Doch alle, die sie liebten und achteten, waren nun unerreichbar fern und konnten sie aus dieser elenden Lage nicht retten. Ach, ihre Eltern, die sie so zärtlich und voller Liebe aufgezogen hatten – sie lebten nicht mehr. Auch Yolanda und Beatrice waren längst wieder in die Heimat gereist, und Dinah, ihre Freundin Dinah, hatte wohl das gleiche, grausame Schicksal wie sie selbst zu erleiden. Den tiefsten Schmerz jedoch empfand sie, wenn sie an den Grafen Gottfried dachte, der sie so großmütig mit Geld und Gesinde ausgestattet hatte und der nun wohl glaubte, sie sei längst mit einem Schiff über das Meer nach Marseille gefahren. Sie stellte sich vor, wie er in einigen Monaten mit seinen Rittern zurück nach Nogent-le-Rotrou kam und dort nach ihr fragte. Doch niemand würde ihm sagen können, was aus der Tochter des Jean Corbeille geworden war. Sie weinte leise, damit man es nicht hörte, vor allem nicht die Hexe Fatima, der sie diesen Sieg missgönnte.
Bei trockenem Wetter hatten die beiden Knaben und der Glatzköpfige die Aufgabe, die Mauern der Burg auszubessern. Auch zwei Mägde mussten dabei helfen, sie traten Lehm und Wasser mit den bloßen Füßen. Die gelbliche Pampe diente dazu, die Steine der Mauer miteinander zu verbinden. Fatima hatte zuerst versucht, der Sklavin Tiessa diese Arbeit zu übertragen, doch die hatte sich erfolgreich dagegen gesträubt. Da konnte die Alte machen, was sie wollte, bevor sie wie eine Bäuerin mit nackten Füßen im Matsch herumtrampelte, wollte sie lieber hungers sterben. Letztlich hatte es eine Einigung gegeben, Tiessa brauchte keinen Mörtel zu stampfen, dafür musste sie Steine klopfen. Die Burgmauer war an mehreren Stellen eingestürzt, ob aus Altersschwäche oder durch den Angriff eines Feindes, war für Tiessa nicht ersichtlich, doch es lagen überall jede Menge Steine herum, an denen noch der trockene Mörtel haftete. So hockte sie unter dem Feigenbaum und schlug Steine gegeneinander, damit sich das gelbe Zeug ablöste und die fleißigen Knaben – das Mauern schien ihnen tatsächlich Spaß zu machen – genug Baumaterial hatten. Es war eine mühsame, staubige Arbeit, häufig von den neugierigen Ziegen unterbrochen, die aus irgendeinem Grund der Meinung waren, Tiessa hielte etwas Fressbares in den Händen. Die gereinigten Steine warf sie in einen geflochtenen Korb, den der Glatzköpfige in regelmäßigen Abständen hinüber zu den Knaben trug, um ihn dort auszuleeren.
Es war schon gegen Abend, und die Arme taten ihr weh, da reckte ein junger Ziegenbock den Hals nach dem Stein in ihrer Hand und erhielt von ihr versehentlich einen kräftigen Schlag auf die Nase. Der Bock blökte auf und riss Tiessa im Sprung mit sich fort, denn ihr weiter, hochgestülpter Ärmel hatte sich in seinen Hörnern verfangen. Sie wurde ein Stück über den Boden geschleift, dann zerrte sich das Tier von ihr los, wobei der Ärmelstoff in Fetzen ging.
Tiessa hatte instinktiv nach dem Strick gegriffen, um zu verhindern, dass ihr bei der wilden Attacke der Hals zugeschnürt wurde. Noch leicht
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