Die Braut des Kreuzfahrers
hatte schnaubend den Kopf hochgeworfen, während sein Reiter den Mantel samt der goldenen Rundfibel mit einem einzigen Schwerthieb durchtrennte. Gottfried trat vom Lesepult zurück und blickte aus dem Fenster, um seinen Augen ein wenig Erholung zu verschaffen. Da wurde ihm bewusst, dass es schon früher Vormittag war und er seine Pflichten nicht vernachlässigen durfte. Es gab mehrere Streitfälle unter den Pächtern der Umgebung, die er schlichten wollte, bevor sie sich ausweiteten, und ein Kontrollgang auf dem Wirtschaftshof stand an. Zudem hatte er Boten ausgeschickt, um die Lage in Bellèmes zu erkunden. Momentan lebte man in Frieden, doch die Vergangenheit hatte gezeigt, dass man vor den Herren von Bellèmes stets auf der Hut sein musste.
Der Blick über die bewaldeten Hügel tat zwar seinen angestrengten Augen wohl, die trübe Herbststimmung und der tiefe graue Himmel schlugen ihm jedoch aufs Gemüt. Was für ein Gegensatz zwischen den eintönigen Alltagsgeschäften des Burgherrn von Perche und den großen Taten der Ritterschaft bestand, von denen er seit dem Morgengrauen gelesen hatte. Fast wünschte er sich jetzt, die Herren von Bellèmes würden Streit suchen und er könnte seine Kämpfer versammeln, um ihnen entgegenzuziehen. Immerhin waren die Felder jetzt abgeerntet, die Wiesen gemäht – eine gute Zeit, um zu kämpfen, die Kräfte zu messen, anstatt hier im Gemach zu sitzen und die vita sancti Martini zu studieren oder über den Kaiser Karl und seinen Ritter Roland zu lesen.
Er stützte sich auf den Fenstersims und beugte sich weit nach vorn, um in den Burghof hinunterzusehen. Es war ziemlich ruhig dort unten, eine Magd trug einen hölzernen Eimer zum Burgbrunnen, die Hunde lungerten herum, zwei Knechte untersuchten ein Pferd, das offensichtlich lahmte. Er sah genauer hin – es war eines der Rösser, mit denen man vorgestern auf die Jagd geritten war, vermutlich hatte es sich bei dem Ritt durch den Wald einen Dorn in den Huf getreten. Es war völliger Unsinn gewesen, das Wild zu verfolgen, anstatt es sich zutreiben zu lassen. Nun bereute er seine Sturheit, auch deshalb, weil die Frauen um diese Zeit Pilze suchten und ein Pfeil sie leicht hätte treffen können. Doch seit Roger de Briard ihn besucht hatte, war seine Freude an der Jagd wieder aufgelebt, es hatte ihm Zerstreuung gebracht und außerdem die eintönigen Mahlzeiten bereichert. Allerdings war Roger schon seit einigen Wochen abgereist, dem Heiligen Land entgegen, und Gottfrieds Jagdbegeisterung verflog mehr und mehr.
Missmutig stieß er sich vom Fenstersims ab, draußen fielen schon wieder die ersten Regentropfen. Wenn der Wind sich drehte, würde man die Fensteröffnungen verschließen müssen. Plötzlich fiel ihm wieder das Mädchen ein, das sich hinter dem Baum vor ihnen hatte verbergen wollen. Tiessa, Jeans Tochter. Sie war hübsch von Angesicht und glich ihrer Mutter Corba: rotbraunes, lockiges Haar, weiche, aber ebenmäßige Züge und blaue Augen, wenn er sich nicht getäuscht hatte. Es war ihm nicht entgangen, dass Ivo Beaumont zurückgeblieben war, doch er hatte keine Lust gehabt, den Burschen zu sich zu rufen, wie man einem Hund hinterherpfleift. Doch auf einmal behagte ihm der Gedanke, dass Ivo dort mit dem Mädchen allein gewesen war, nicht recht. Seine Vorbehalte gegen den jungen Mann waren keineswegs gewichen, er mochte ihn nicht.
Langsam trat er wieder zu seinem Lesepult und schloss das Buch mit zärtlicher Sorgfalt. Er liebte das leise Knistern des Pergaments, wenn die Seiten zusammengepresst wurden und er die Buchschließe einhakte – es war ihm dann immer, als vernehme er die flüsternden Stimmen all dieser Sagengestalten, die einer anderen, edleren Welt angehörten. Er hatte seine Knappenzeit am französischen Hof verbracht und war dort über Pflichten und Tugenden des Ritters belehrt worden, die tief in sein Herz gedrungen waren. Die Liebe zu Gott, der Schutz der Schwachen, die Milde gegenüber dem besiegten Feind, die Treue zum König, die Mäßigung des Zorns, die Fähigkeit, Hass zu ertragen, die innere Güte – all diese Tugenden und noch etliches mehr hatte er auch bei seiner Schwertleite gelobt und sich aufrichtig bemüht, nach ihnen zu leben. Was leider Gottes nicht immer gelungen, oft sogar kläglich missraten war. Auch hatte er bei Hofe niemals durch Wortgewandtheit oder die Eleganz seiner Erscheinung geglänzt, obgleich er kein schlechter Tänzer war. Es war nicht seine Sache, im Grunde verachtete er die
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