Die Braut des Nil
Geduld wirst du nicht haben.«
»Ich habe
nicht das Recht, sie zu haben«, antwortete Kamose traurig.
»Somit bleibt
nur ein einziger Weg«, schloss der Geometermeister. »Aber dafür brauche ich
dein Einverständnis.«
Kamose hatte
volles Vertrauen in den rechtschaffenen Mann, der ihm so viel beigebracht
hatte. Und doch hatte er Angst.
»Wenn du
deine Absicht nicht aufgibst, musst du Schreiber werden.«
Kamoses
letzte Illusionen wurden zunichte gemacht.
»Ich kann mit
meinen Händen arbeiten«, sagte er mit gebrochener Stimme, »aber ich kann weder
lesen noch schreiben.«
»Das wirst du
lernen. Da du es eilig hast, liegt hierin ein Risiko. Ich werde dich einem Mann
übergeben, der zahlreiche Schreiber ausgebildet hat. Aber er ist
unerbittlicher, als ich es jemals war.«
9
Kamose gab
dem Geometer Meißel, Hammer und Dechsel zurück, die er benutzt hatte.
»Hier sind meine
Werkzeuge«, sagte er. »Sie gehören mir nicht. Sie gehören der Zunft.«
»Behalte sie,
du hast dich ihrer nicht unwürdig gezeigt. Du wagst nun das schwierigste aller
Abenteuer. Deine Werkzeuge werden dir noch nützlich sein. Sie werden auf ewig
deine Freunde bleiben.«
»Ich… Ich
würde Euch gern…«
»Keine
unnötigen Worte. Ich habe meine Pflicht getan. In dir brennt ein Feuer, Kamose.
Du solltest lernen, es zu beherrschen. Meine Kenntnisse reichen nicht mehr aus,
dir zu helfen. Werde Schreiber!«
Der Geometer
umarmte seinen Schüler feierlich.
Mit einem
Kalksteinplättchen versehen, auf das der Geometer ein paar Zeilen geschrieben
hatte, wurde Kamose vom Aufseher in das Büro der Schreiber geführt. Dieses lag
zwischen der äußeren Umfassungsmauer des Tempels von Amun-Re, dem König der
Götter, und der Umfassungsmauer des geschlossenen Tempels.
Der Aufseher
vertraute den jungen Mann einem Beamten an, der die auf den Kalkstein
geschriebene Nachricht entzifferte.
»Du heißt
Kamose und wirst empfohlen, um in die Schule des Alten einzutreten… Hat man
dich informiert?«
»Anscheinend
ist er ein strenger Mann.«
Der Beamte sah Kamose
mitleidig an.
»Ich
verstehe… Man hat dich offenbar wirklich nicht informiert. Bist du zu diesem
Schritt gezwungen worden? Warum bleibst du nicht bei den Handwerkern?«
»Ich komme
aus freiem Willen her und denke nicht daran, zurückzuschrecken.«
»Ganz wie du
willst, junger Mann. Ich habe dich gewarnt.«
Der Beamte
rief einen Schreiber herbei, der eine Kiste voller unbeschriebener Papyrusrollen
trug. Er wies ihn an, Kamose zum Alten zu führen. Der Schreiber zuckte kurz
zurück. Da er jedoch gewohnt war zu gehorchen, führte er den Befehl wortlos
aus.
Kamose wagte
nicht, ihm irgendeine Frage zu stellen. In dem Teil des Tempels, der den
Handwerkern vorbehalten war, herrschte fröhliches Treiben, die Lehrlinge sangen
bei der Arbeit, man hörte den Lärm der Werkzeuge. Hier dagegen herrschte
Stille. Eine fast bedrückende Stille.
Kamose ging
ein langes Stück die Umfassungsmauer des geschlossenen Tempels entlang. Er
schritt durch mehrere schmale Türen, bog in dunkle Gänge ab, in die nur durch
schmale, an der Decke angebrachte Öffnungen Licht drang.
Dann war er
wie geblendet. Der Weg führte unter freiem Himmel, zwischen zwei Gebäuden
hindurch und man sah in der Ferne das Ende eines Sees, in dem Priester ihre
Waschungen vornahmen, Kamose wäre gerne stehen geblieben, aber der Schreiber
schritt in gleichmäßigem Tempo voran, ohne sich umzudrehen.
Schließlich
erblickte Kamose den Teil des Tempels, in dem sich die Wohnstätten und Büros
der Schreiber befanden. Zahlreiche, sichtlich sehr beschäftigte junge Männer
liefen dort umher. Unter freiem Himmel unterrichtete ein Meister eine Gruppe
von etwa zehn Schülern, die eifrig auf Kalkplättchen schrieben. Kamose trug noch
seine lederne Handwerkerschürze. Mit nacktem Oberkörper wirkte er wie ein
junger Koloss in einer Welt von Intellektuellen, die feine Kleidungsstücke
trugen und deren Schultern schmaler waren als seine. Er war das Objekt
herablassender Blicke.
»Hier ist es«,
erklärte der Schreiber, der ihn geführt hatte. »Tritt ein und warte!«
Kamose betrat ein niedriges,
einstöckiges Gebäude. Das Erdgeschoss bestand aus einem großen Büro, an dessen
Wänden Regale standen, die mit Papyrusrollen angefüllt waren.
Im hinteren Teil
des Raumes saß mit verschränkten Beinen ein Greis. In der rechten Hand hielt er
eine Schreibbinse, die er in regelmäßigen Abständen in einen mit schwarzer
Tinte
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