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Die Braut des Nil

Die Braut des Nil

Titel: Die Braut des Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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lange nicht mehr. Unsere Kultur existiert nur durch ihre heilige Sprache,
Kamose. Alles ist Hieroglyphe, alles ist lebendes Symbol, vom Tempel als Ganzem
bis zum Insekt. Wenn du eine Heuschrecke zeichnest, stellst du die Seele des
Pharao dar, die zum Himmel springt und die Entfernung zwischen Erde und
Paradies aufhebt.«
    Die Worte des
Alten waren einleuchtend. Aber sie vertrieben weder die Liebe noch den Kummer.
    »Was hast du
auf diesen Kalksplitter gezeichnet?«
    »Eine Vase«,
antwortete Kamose.
    »Du wirst sie
häufig in den Texten der Weisen finden. Was glaubst du, warum? Handelt es sich
wirklich nur um eine Vase?«
    Kamose
zögerte.
    »Es ist ein
Behältnis…«
    »Es ist sogar
das wichtigste Behältnis«, fügte der Alte hinzu. »Es handelt sich um das Herz,
Kamose, um deine Fähigkeit, das Wesentliche und das Wahre zu empfinden. Die
Beschaffenheit deines Herzens hängt davon ab, was du in die Vase hineinlässt,
die es symbolisiert. Ist es eine bittere Flüssigkeit, so bist du neidisch und
habgierig. Ist es der Honig der Biene, so gehörst du zur Rasse der Könige.«
    »Der Könige?
Aber es gibt doch nur einen Pharao… Und man muss seiner Familie angehören, um
ihm nachzufolgen.«
    »Wenn unsere
Pharaonen aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit erwählt worden wären, wäre
unsere Kultur schon lange untergegangen. Sieh dir die Schreiber an, die ihr Amt
von ihrem Vater ererbt haben! Die meisten sind unfähig. Es stimmt, es gibt nur
einen Pharao, aber er ist das Vorbild des Königtums für die, die ihr Leben
bewusst leben wollen.«
    Kamose empfand
eine neue Art Ergriffenheit. Eine bisher unbekannte Klarheit durchdrang ihn.
    »Was du
ersehnst, ist sehr schwer zu erlangen, mein Junge. Die Zeit ist gekommen, mir
zu vertrauen. Warum wünschst du, so schnell in den geschlossenen Tempel zu
gelangen?«
    Kamose wollte nicht länger
schweigen.
    »Meine Eltern
sind Opfer eines Unrechts geworden. Ein Soldat, der aus Asien zurückgekommen
ist, hat uns mit Billigung des Pharao Haus und Besitz gestohlen. Ich bin
überzeugt, dass es sich um einen Irrtum des Katasters handelt. Ich möchte
Zugang zum Katasteramt erlangen, um das zu beweisen und meinen Eltern
zurückzugeben, was ihnen gehört.«
    Der Alte
kratzte sich am Kinn. Er war unschlüssig.
    »Du bist ganz
entschieden ein besonderer Fall«, räumte er ein. »Das Kataster ist ein strenges
Amt, dem erprobte, höchst gewissenhafte Fachleute angehören. Streitfälle sind
selten. Gewöhnlich handelt es sich um unehrliche Bauern, die nach dem
Hochwasser Grenzsteine versetzen. Die Wahrheit kommt dann schnell ans Licht.
Ich weiß, dass Ramses der Große alte Soldaten, die ihm in Asien treu gedient
haben, mit Privilegien ausstattet, aber er bringt nicht die Kleinbauern um
ihren Besitz.«
    »Was ratet
Ihr mir?«
    »Geduld und
Arbeit. Die Gerechtigkeit setzt sich immer durch.«
    »In dieser
Zeit leiden meine Eltern. Sie können nur auf mich zählen, um ihrer Sache zum
Sieg zu verhelfen. Ich kann nicht mehr… Ich fühle mich schuldig.«
    »So kommst du
nicht an dein Ziel. Absolviere deine Prüfungen und beantrage, in das
Katasteramt aufgenommen zu werden.«
    Der junge
Mann fuhr auf.
    »Ist das
möglich?«
    »Der Unterricht, den ich
erteile, ist der anspruchsvollste von allen. Aber er ermöglicht dir, in einem
Jahr zu lernen, was sich gewöhnliche Schüler mühsam in fünf Jahren erarbeiten.
In weniger als zwei Monaten werde ich dich zu der ersten Prüfung schicken, die
den Kandidaten auferlegt wird. Die anderen werden dich beneiden. Das ist deine
einzige Chance.«
    »Und danach?«
    »Danach wird es weitere
Prüfungen geben.«
    »Wie viele?«
    »Mehr als
zehn, bevor du dich um eine Stelle als Fachmann im Katasteramt im geschlossenen
Tempel bewerben kannst.«
    »Wie viele
Jahre muss ich lernen?«
    »Das wird von
dir abhängen. Außerdem musst du noch Astronomie, Geografie und Vermessungskunde
lernen. Bist du dafür begabt? Ich weiß es nicht.«
    »Und wenn ich
es bin?«
    »Wenn du hart arbeitest,
brauchst du mindestens drei Jahre.«
    Enttäuscht
biss sich Kamose auf die Lippen. Die Verzweiflung drohte ihn zu überwältigen.
Mindestens drei Jahre… vielleicht fünf, vielleicht zehn, vielleicht scheitern.
    Der Alte ließ
seinen Schüler allein und kehrte an seine Arbeit zurück. Er schrieb an einem
Abschnitt aus dem Totenbuch, der sich mit dem Wiegen der Seele beschäftigt. Die
Seele des Gerechten wird unsterblich, die des Ungerechten wird von dem
Ungeheuer verschlungen, das Zeit und

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