Die Braut des Nil
gleichgültig.
Der König sah
Kamose lange an, und dieser sah ihm gerade in die Augen. Da er so weit gegangen
war, würde es ihm nun auch nichts mehr nützen, den Untertänigen zu spielen.
Er fühlte
sich erleichtert. Er hatte demjenigen die Wahrheit sagen können, der sie auf
Erden vertrat, dem König von Ägypten persönlich.
»Seltsam«,
sagte Ramses. »Wie lange bestellen deine Eltern das Land, das Setek zugeteilt
wurde?«
»Sie sind
darauf geboren, Eure Majestät. Zunächst waren sie die Angestellten eines alten
Mannes. Bei seinem Tod gewährte er ihnen das Recht, im Dorf weiterzuarbeiten
und sein Feld zu bestellen. Meine Eltern haben das Haus gebaut, in dem ich
aufgewachsen bin. Sie haben so viel gearbeitet, dass der Bürgermeister mit
Einverständnis des Pharao eingewilligt hat, dass sie dessen Besitzer werden.«
»Haben sie
irgendwann einen schweren Fehler begangen?«, fragte der Pharao.
»Nein«,
antwortete Kamose überzeugt. »Sie werden vom ganzen Dorf geschätzt.«
»Was ist
passiert, als Setek bei dir zu Hause angekommen ist?«
»Er hat
meinen Vater geschlagen, Eure Majestät. Wäre meine Mutter nicht dazwischengegangen,
so hätte ich mich mit ihm geprügelt.«
»Was hat er
euch gesagt?«
»Dass unser
Haus und unser Land ihm gehören würden. Er hat meine Eltern verjagt. Der
Bürgermeister hat sie angestellt, dann hat Setek sie als Diener angefordert und
hat sie bekommen. Jetzt ist meine Mutter krank. Wenn sie stirbt, so wird das an
diesem verdammten Helden liegen!«
Ein
Angehöriger des Rates erbat sich beim Pharao empört das Wort.
»Der Junge
hat nicht das Recht, den Ruhm eines unserer Veteranen zu schmälern. Ohne sie
wäre Ägypten längst von den Barbaren besetzt worden. Dieser kleine Aufrührer
schuldet Setek Gehorsam!«
Kamose sah
ihn wütend an.
»Niemals!
Lieber sterben!«
Nofret nahm Kamose am Arm.
Das erzürnte Gesicht des Pharao zeigte deutlich, dass sie mit ihrem wahnwitzigen
Vorhaben gescheitert waren.
»Beschreibe
mir die Ankunft von Setek noch einmal genauer«, forderte der große Ramses.
Kamose
beruhigte sich. Er rief sich jene schmerzvollen Augenblicke in Erinnerung.
»Dieser
erbärmliche Held verhielt sich wie ein Barbar«, erzählte er. »Er trug einen
Harnisch und hatte ein Bronzeschwert.«
»Wie groß?«
»Ein großer
Mann, mit breiten Schultern…«
»Das reicht«,
erklärte der Pharao mit fester Stimme.
Ramses der
Große schien plötzlich sehr irritiert.
Seine
Ratgeber hielten es für klüger, nicht um das Wort zu bitten. Geduldig warteten
sie ab, bis der König mit seinen Überlegungen fertig war.
»Dieser Mann
ist nicht Setek«, erklärte Ramses der Große.
23
»Wir haben
Seite an Seite gekämpft«, erzählte der Pharao. »Setek ist eher klein und sehr
schmal. Er aß nicht viel und konnte bemerkenswert gut der Kälte widerstehen.
Wir haben uns oft über sein zierliches Äußeres lustig gemacht. Auf den Straßen
Asiens hat er unglaubliche Zähigkeit bewiesen. Als er die Armee verließ, war er
über sechzig.«
Die Ratgeber
sahen sich ungläubig an. Die Augen von Nofret und Kamose begannen vor Freude zu
leuchten. Auch der Alte schien sich endlich für die Diskussion zu
interessieren.
»Was bedeutet
das?«, fragte einer der Ratgeber. »Ist womöglich das Kataster getäuscht
worden?«
»Die Akte ist wirklich auf
den Namen Setek angelegt worden. Wer hat sie dort hinterlegt?«, fragte ein
anderer.
»All das muss
geklärt werden«, forderte der Pharao. »Du wirst zusammen mit einem meiner
höheren Offiziere, der Setek gut gekannt hat, ins Dorf gehen, Kamose. Ihr
werdet den Mann befragen, der vorgibt, Seteks Namen zu tragen.«
Kamose
verneigte sich. Ihm schwirrte der Kopf. Er war kaum in der Lage, nachzudenken.
»Ich
beauftrage Richter Rensi damit, sich ins Katasteramt zu begeben und eine
ausführliche Verwaltungsuntersuchung durchzuführen«, fuhr der König fort.
»Meine Befehle sollen unverzüglich ausgeführt werden!«
Ramses der
Große erhob sich und bedeutete damit, dass die Ratssitzung beendet war. Der
Pharao wandte sich an Kamose.
»Du bist ein
unvorsichtiger Junge«, sagte er. »Dein Verhalten hätte eine strenge Strafe
verdient. Aber du trägst die Wahrheit in deinem Inneren. Du warst von ihr
überzeugt, ohne einen Beweis dafür zu haben. Ich werde deinem Lehrer
gratulieren. Er hat dich gut erzogen. Er hat es verstanden, in dir die Klugheit
des Herzens zu erwecken.«
Die Lippen
des Alten, der sich auf seinen Stock stützte,
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