Die Braut des Shawnee-Kriegers
sie einander so nah kamen. Diese erregende Begegnung hatte die Dinge zwischen ihnen nur noch komplizierter und schmerzlicher gemacht.
Er ging weiter und fand nach ein paar Schritten auch den zweiten Mokassin. Andere Schuhe hatte Clarissa nicht. Er musste sie einholen, bevor sie zurückkam, um sie zu suchen. Sie sollte sich nicht die nackten Füße auf dem felsigen Boden verletzen.
Während er sich innerlich auf ein neues Wortgefecht einstellte, machte er sich auf den Weg in die Richtung, die sie genommen hatte. Das Mondlicht übergoss die Landschaft mit allen Schattierungen von Altsilber bis Mattgold. Die Hickorybäume und Erlen, an denen die Blattknospen aufgesprungen waren, knarrten leise im Nachtwind. Clarissa konnte in der kurzen Zeit nicht sehr weit gekommen sein, doch da sie den Weg verlassen hatte, würde die Suche nach ihr nicht einfach werden. Er überlegte, ob er sie rufen sollte, aber in ihrer Wut würde sie vermutlich nicht antworten.
Also verließ Wolf Heart sich nur auf seine Sinne, während er sich einen Weg durch Weidenund Brombeergebüsch bahnte. Direkt vor sich sah er im Mondlicht eine Felsgruppe, die mannshoch aufragte. Von dort oben würde er eine gute Aussicht haben und Clarissa vielleicht entdecken.
Allerdings stellte sich heraus, dass er die Felsen gar nicht zu erklimmen brauchte. Als Wolf Heart näher kam, hörte er durch das hohe Gebüsch ein leises Geräusch. Einen Augenblick blieb er bewegungslos stehen und lauschte angestrengt. Erleichtert und gleichzeitig bestürzt erkannte er in dem Geräusch Clarissas krampfhaftes Schluchzen.
Vorsichtig schlich er näher, um sie nicht zu erschrecken und in die Flucht zu schlagen. Hatte sie sich verlaufen? Fürchtete sie sich? Hatte sie Schmerzen? Oder war dies nur die gewöhnliche weibliche Reaktion auf ihren Streit? In dem Fall wäre es am Ende klüger, sie sich selbst zu überlassen.
Während er noch hin und her überlegte, trat er leise aus dem Gebüsch. Er entdeckte Clarissa, einen Steinwurf entfernt, zusammengekauert auf einem niedrigen Felsen. Sie wandte ihm den Rücken zu. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, und ihre schmalen Schultern bebten und zuckten.
Er machte einen Schritt auf sie zu … und erstarrte vor Entsetzen, als er sah, dass sie nicht allein war. Über ihr auf dem höchsten Felsen lag flach an den Boden gedrückt ein riesiger Puma. Sein schlanker Körper schimmerte im Mondlicht wie geschmolzenes Gold.
Wolf Hearts Magen krampfte sich zusammen, als ihm einfiel, dass er keine Waffe dabeihatte, nicht einmal ein Messer oder einen Knüppel. Es war zu spät, um einen Stein vom Boden aufzuheben oder einen Ast von einem Baum zu brechen. Er hielt nichts in den Händen außer einem Paar weicher, abgetragener Mokassins.
Sollte er schreien, versuchen, sie zu warnen? Noch nicht, beschloss er. Wenn Clarissa sich plötzlich bewegte, würde die Bestie sie blitzartig anspringen. Ein solches Risiko durfte er erst eingehen, wenn er nah genug war, um eingreifen zu können.
Ohne die mächtige Katze auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, näherte er sich behutsam dem Felsen, Schritt für Schritt. Der Berglöwe schob sich langsam vorwärts, die Ohren aufmerksam gespitzt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er noch nie in seinem Leben solche Geräusche gehört, wie dieses menschliche Geschöpf sie von sich gab. Unter anderen Voraussetzungen hätte die Szene sogar amüsant sein können, doch die Gefahr, in der Clarissa schwebte, war alles andere als komisch. Wolf Heart kam immer näher und betete inbrünstig um eine Galgenfrist, um sie rechtzeitig zu erreichen.
Der lange gelbbraune Schwanz hing seitlich am Felsen herab, und seine dunkle Spitze zuckte im Mondlicht. Wolf Heart spürte deutlich die Unschlüssigkeit der Katze. Würde sie angreifen oder sich ungesehen davonmachen? Oder würde sie bleiben, um verwundert den fremdartigen, sonderbar fesselnden Lauten zu lauschen?
Der Puma senkte den großen Kopf ein wenig und streckte den Nacken vor. Die wuchtigen Schultern spannten sich, und der Schwanz begann in seiner ganzen Länge zu zucken. Wolf Heart begriff, dass ihm keine Zeit mehr blieb. "Ha!" Er stürmte über die Lichtung und schleuderte erst den einen und dann den anderen Mokassin auf den geschmeidigen goldfarbenen Körper. Die Wurfgeschosse trafen, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten, doch der Puma war so überrascht, dass er das Gleichgewicht verlor. Er fuhr herum und glitt fauchend seitlich am Felsen herab. Als das
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