Die Braut des Shawnee-Kriegers
Unterlippe. Was, wenn sie sich ein wenig streckte und den schimmernden Tropfen mit der Zungenspitze von seiner Lippe schnippte? Wie würde Wolf Heart reagieren?
Was für ein köstlich lasterhafter Gedanke!
"Ich drehe dich jetzt um." Behutsam drehte er sie, bis sie mit dem Gesicht nach oben lag. "Streck jetzt die Beine aus, leg den Kopf in den Nacken und drück das Kreuz ein bisschen durch – ja, so. Als wenn du auf einem Bett liegen würdest. Wie findest du das?"
"Oh!" staunte Clarissa. Sie trieb gemächlich in dem kühlen, dunklen Wasser, wobei Wolf Hearts Hand sie nur leicht im Rücken stützte. Ihr Haar umfloss sie wie Seetang und bewegte sich mit den Wellen. Verlegen stieß sie ein kleines Lachen aus. "Es fühlt sich herrlich an. So etwas habe ich noch nie erlebt. Lass mich bloß nicht los!"
Sein Lachen klang tief in seiner Kehle. "Es würde keinen besonderen Unterschied machen, wenn ich dich jetzt losließe. Das Wasser trägt dich. Du musst es nur zulassen. Trau dem Wasser, Clarissa, und trau dir selbst. Das ist das ganze Geheimnis des Schwimmens."
Clarissa streckte ihre nackten Zehen. Sie schloss die Augen und gab sich für einen Moment ganz dem wundervollen Gefühl hin, schwerelos in dem kühlen Element zu treiben. Ihre Sinne öffneten sich weit – wie Blüten in der Sonne. Sie nahm das Seufzen des Windes in sich auf, den fernen Ruf eines Seetauchers und den frischen Duft von Seetang, Holz und Blumen. Und sie schmeckte das Wasser auf ihren Lippen und spürte es an ihrem ganzen Körper.
Manchmal hatte sie nachts geträumt, wie eine Wolke am Himmel entlangzusegeln, aber dies war noch schöner. Weil es Wirklichkeit war.
"Mach die Augen auf." Wolf Hearts Stimme war wie eine Liebkosung. "Schau dich um."
Ihre Lippen formten ein stummes "Oh", als Clarissa die Augen aufschlug. Sie schaute hinauf zu den Felsen, die den Teich einrahmten. Prächtige Farne wucherten in Kaskaden an ihnen herab, und auf den Mooskissen glitzerten und schimmerten Tropfen im Mondlicht. Dazwischen leuchteten kleine Büschel weißer Blumen. Und hoch oben am samtig dunklen Himmel hing der Mond wie eine riesige goldene Scheibe.
"Die Shawnee glauben, dass auf dem Mond Kokomthena lebt, unsere Urmutter, die alles Leben geschaffen hat." Wolf Hearts Stimme klang in der Dunkelheit ganz unwirklich, als käme sie von weit her. "Sie schuf das Reh, den Bären und den Luchs. Sie schuf Fische, Vögel und Insekten … und die Menschen. Zuerst die Delaware und dann, als sie schon etwas mehr Übung hatte, die Shawnee."
"Und du glaubst das auch?" fragte Clarissa verträumt.
"Warum nicht? Es macht genauso viel Sinn wie das, was ich früher in der Kirche gehört habe."
"Aber glaubst du wirklich daran?" beharrte sie. Im selben Augenblick merkte sie, dass seine Hand sie nicht mehr im Rücken stützte.
"Ich habe mich dafür entschieden, es zu glauben, so wie ich mich dafür entschieden habe, ein Shawnee zu sein."
Clarissa versuchte, Ruhe zu bewahren und ihre Haltung nicht zu verändern, damit sie nicht unterging. Gleichzeitig bemühte sie sich, diesen Mann zu verstehen, der so hartnäckig darauf bestand, etwas zu sein, das er gar nicht war.
"Und die Weißen?" hielt Clarissa dagegen. "Hat eure Urmutter die auch gemacht?"
"Unsere Mutter war weise", sagte Wolf Heart nach einem langen Schweigen. "Sie wusste, dass die Shawnee Feinde brauchten, die sie bekämpfen konnten, um nicht schwach und träge zu werden. Deshalb schuf sie die Irokesen. Die Weißen dagegen kamen von weit her, lange nachdem die alten Legenden überliefert waren."
"Dann hat eure Urmutter sie also nicht gemacht?"
"Kokomthenas Enkel folgen ihren Gesetzen." Seine Stimme bekam einen bitteren Unterton. "Sie verwüsten das Land nicht oder beanspruchen es als ihr Eigentum, wie die Weißen es tun. Weshalb also hätte sie so selbstsüchtige, verschwenderische Kreaturen erschaffen sollen?"
"Aber du bist ein Weißer!" fuhr Clarissa auf und verlor prompt das Gleichgewicht. "Du bist ebenso wenig ein Shawnee wie ich eine Chinesin …"
Sie ging unter, begann zu rudern und kam nach Atem ringend wieder hoch. "Ich weiß genau, was du vorhast", fuhr sie ihn an. "Aber das funktioniert nicht, Seth Johnson. Gib dir keine Mühe. Aus mir wird nie eine Shawnee-Squaw, deren höchstes Glück auf Erden darin besteht, Tierhäute abzukratzen, Lederkleider zu tragen und den Mond anzubeten. Gib es auf!"
Seine Augen wurden schmal. Im nächsten Augenblick packte er sie an den Ellbogen und stemmte sie aus dem
Weitere Kostenlose Bücher