Die Braut des Shawnee-Kriegers
Tier den Boden erreichte – fast unmittelbar zu Clarissas Füßen –, stand Wolf Heart neben ihr.
"Ha!" brüllte er wieder und erwartete breitbeinig und in gebückter Haltung den tödlichen Angriff. Doch nichts geschah. Der völlig überrumpelte Berglöwe hatte das Interesse verloren. Er wirbelte herum und verschwand wie der Blitz in der dunklen Nacht.
Clarissa blinzelte überrascht und verständnislos, während Wolf Heart sich wieder aufrichtete. Gerade noch hatte sie geglaubt, allein zu sein, und sich ungestört dem überwältigenden Gefühl von Schmerz und Hilflosigkeit hingeben zu können. Dann war Wolf Heart plötzlich brüllend aus der Dunkelheit aufgetaucht, und ein großer gelber, fauchender Ball war neben ihr auf den Boden aufgeschlagen und blitzartig verschwunden.
Sie begriff immer noch nicht, was eigentlich geschehen war, und starrte auf die enormen Fußabdrücke auf dem sandigen Boden. Ihr Gesicht brannte von den salzigen Spuren ihrer Tränen – und vor Scham. Offenbar hatte Wolf Heart ihr schon wieder das Leben gerettet, doch es wäre ihr lieber gewesen, er hätte ihre heimlichen Tränen nicht gesehen.
"Ich weiß, dass ich dir Dank schulde", sagte sie mit abweisender, zitternder Stimme. "Aber ich habe dich nicht gebeten, mir zu folgen. Was tust du hier überhaupt?"
Statt einer Antwort bückte er sich und hob zwei schlaffe Gegenstände auf, die neben dem Felsen am Boden lagen. Wortlos drückte er ihr die Mokassins in die Hand.
Erst jetzt – er schickte sich gerade an zu gehen – überfiel Clarissa die Erkenntnis dessen, was geschehen war, wie ein Schwall eisigen Wassers. Erneut sah sie vor sich, wie er wie ein Berserker gebrüllt und diese albernen Mokassins über dem Kopf geschwungen hatte. Sie sah ihn die Schuhe auf den Felsen schleudern und meinte noch einmal den Aufprall zu spüren, als die gewaltige gelbbraune Katze neben ihr landete.
Ohne ersichtlichen Grund begann sie haltlos zu kichern.
Wolf Heart hatte den Rand der Lichtung bereits erreicht. Er blieb stehen und schaute über die Schulter zurück. Ihr Lachen erstarb, als er sich umdrehte und langsam zu ihr zurückkam.
Clarissa stand ganz still und sah ihm entgegen. Plötzlich war sie der ganzen Scharmützel müde, der verbalen und emotionalen Attacken. Sie wollte sich nur noch ausruhen.
Als er sie in die Arme nahm, ließ sie sich einfach hineinsinken. Mit geschlossenen Augen sog sie den männlichen Duft seiner Haut in sich ein. Er hielt sie zärtlich umfangen, ohne Forderung, ohne mehr zu wollen, und ihr wurde klar, dass auch er müde war. Sie hatten angegriffen, pariert und gestritten, und sie waren zu einem erschöpften Unentschieden gekommen.
"Ich will nach Hause", flüsterte sie, ohne recht zu wissen, was der Begriff "zu Hause" jetzt noch für sie bedeutete. War es das kalte, unpersönliche Haus in Baltimore, in dem Junius und die prüde Mrs. Pimm regierten? War es Fort Pitt, wo ihr gefahrvolles Abenteuer begonnen hatte? War es Swan Feathers primitive Hütte oder ein Ort, der nur in ihren Träumen existierte?
Noch immer schweigend, hob Wolf Heart sie hoch wie ein müdes Kind, dem nach einem langen Tag die Augen zufielen. Widerstandslos ließ sie sich von ihm zum Dorf zurücktragen. Ihr Kopf ruhte an seiner nach Moschus duftenden Brust, und sie lauschte dem langsamen, gleichmäßigen Schlag seines Herzens.
Der Wind hatte sich gelegt, und es war nicht mehr so kalt. Eine leise Brise wisperte im Gras. Der hohle Schrei einer Waldeule mischte sich mit dem leisen Zirpen der Grillen und dem fernen Wiehern eines Pferdes. Irgendwo in der Dunkelheit streifte der große goldene Puma umher, dankbar für die gelungene Flucht … falls so ein wildes Tier überhaupt etwas wie Dankbarkeit empfinden konnte.
Zufrieden und schläfrig kuschelte Clarissa sich enger in Wolf Hearts Arme. Vor ihrem geistigen Auge ließ sie die Eindrücke des Tages passieren – das Verlassen der Mondhütte, den Verdruss mit den Mädchen am Teich, die übel riechenden Rehhäute … und Wolf Heart. Vor allem Wolf Heart. Seine Rückkehr, sein Lachen, sein aufreizender Stolz und die langen, heißen Küsse, die ein unbezähmbares Verlangen in ihr geweckt hatten. Es war ein schrecklicher Tag gewesen. Und ein unsagbar herrlicher Tag. Nun war er vorüber.
Morgen früh würde sie mit klarem Kopf aufwachen und wieder vernünftig sein. Sie würde ihre Flucht planen, jede Einzelheit durchdenken: Sie musste Vorräte sammeln und verstecken, ein Pferd stehlen und ihre Spuren
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