Die Braut des Shawnee-Kriegers
verwischen. Morgen würde sie das alles tun, aber nicht mehr heute Nacht. Heute Nacht brauchte sie Wolf Heart und seine Arme, die sie umfangen hielten. Sie brauchte den gleichmäßigen Rhythmus seines Atems und den sauberen, würzigen Duft seiner Haut, der ihre Sinne benebelte wie ein schwerer Wein.
Mit halb geschlossenen Augen schaute sie hinauf zum Mond und den schimmernden Sternen. Eine Sternschnuppe fiel zur Erde herab und hinterließ einen langen weißen Strich in der Dunkelheit. Das war das Letzte, woran Clarissa sich erinnerte.
Mit vorsichtigen Schritten glitt Wolf Heart durch das Dickicht, um die kostbare Last in seinen Armen nicht zu stören. Clarissa schlummerte wie ein Kind. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust, und eine Hand lag auf dem Medizinbeutel, der dort hing. Ihre Wimpern wirkten auf den blassen Wangen wie goldene Fächer. Irritierend wie ein Wespenstich und unberechenbar wie der schwirrende Flug eines Kolibris, war sie endlich zur Ruhe gekommen.
Wann war ihm zum ersten Mal zum Bewusstsein gekommen, dass er sie liebte?
War es im Teich geschehen, als sie ganz verzückt über ihre neue Errungenschaft zu ihm aufgeblickt hatte? Als sie sich brennend vor Verlangen an ihn presste? Oder gab es gar keinen bestimmten Zeitpunkt? War es ganz allmählich vor sich gegangen, wie das Entfalten einer Knospe zur vollen Blüte?
Woher kam diese fast schmerzhafte Zärtlichkeit? Er hatte sie nicht gerufen, nicht gewollt. Er wollte sie nicht einmal jetzt. Durch die Liebe zu Clarissa öffnete er dem Unheil Tür und Tor, brachte er sein Selbstverständnis als Shawnee in Gefahr.
Durch die Bäume sah er den flackernden Schein der Feuerstellen im Dorf. Als sie näher kamen, regte sie sich. Sie maunzte wie ein Kätzchen und stieß mit dem Kopf gegen seine Brust, bevor sie aufseufzend noch tiefer in ihrem Schlummer versank. Wie verlockend der Gedanke, sie zu seiner eigenen Hütte zu tragen. Dort würde er sie neben dem Feuer auf das Bett aus Rehfellen legen und sich in ihrer gemeinsamen Leidenschaft für den Rest der Nacht verlieren. Niemand im Dorf würde Anstoß daran nehmen. Niemand würde ihn richten oder verdammen, wie es in der Welt der Weißen geschähe. Für die Shawnee wäre diese Vereinigung etwas ganz Natürliches, nichts, über das es zu debattieren galt.
Wolf Heart zögerte einen Augenblick und steuerte dann entschlossen Swan Feathers Hütte an. Nichts würde passieren. Nicht heute und auch in der Zukunft nicht. Clarissa zu besitzen wäre Selbstmord. Sie würde ihn mit ihrer Hitze verbrennen, und doch würde er sie nie an sich binden können. Ein Teil von ihr würde sich immer nach der Welt zurück sehnen, aus der sie kam.
Ich will nach Hause. Die Erinnerung an ihr klägliches Flüstern ging ihm nicht aus dem Kopf, und er begriff endgültig, dass Swan Feathers Rat weise gewesen war und Clarissa sich niemals an ein Leben in seinem Dorf gewöhnen könnte. Aber er konnte sie doch nicht befreien und zurückschicken. Sie gehörte dem Stamm und der alten Frau, deren Tochter sie ersetzen sollte. Er hatte kein Recht, das Gesetz der Shawnee zu brechen.
Durch die Bäume sah er den dunklen Umriss der Hütte, aus der Eingangstür fiel schwach der Schein des verglimmenden Feuers. Der Duft nach gebratenem Reh hing noch in der Luft und erinnerte an Swan Feathers großzügige Einladung.
Irgendwo aus der Ferne hallte der durchdringende Ruf eines einsamen Wolfs herüber. Wolf Heart lauschte, und eine ungewohnte Rastlosigkeit ergriff ihn. Der Wolf war sein unsoma. Als Junge hatte er eine Vision gehabt, in der ihm ein Wolf erschienen und zu seinem persönlichen Leitbild geworden war. Er hatte seinen Namen angenommen und gelobt, ihm für alle Zeiten in Mut, Findigkeit und Stammestreue nachzueifern.
Dieses Versprechen hatte er nie gebrochen.
Clarissa hatte Kopf und Oberkörper an seine Brust gelehnt, ihre langen Beine hingen über seinem Arm. Er erinnerte sich daran, wie er sie am Morgen vor Swan Feathers Hütte gesehen hatte, wie sie sich ein wenig ungeschickt über die Tierhaut beugte, die sie schwitzend und mit sichtlichem Widerwillen bearbeitete. Ihre ungebrochene Tapferkeit rührte ihn zutiefst. In dieser Welt, die er freiwillig für sich gewählt hatte, war sie so fehl am Platz wie ein schimmernder Kolibri in einem Adlernest.
Sein Weg hatte immer so klar vor ihm gelegen. Was war plötzlich mit ihm geschehen?
Als wollte er seine stumme Frage beantworten, heulte der Wolf erneut. Doch diesmal schien er weiter entfernt zu
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