Die Braut des Shawnee-Kriegers
zurückgebracht, obwohl er sie ebenso gut mit in seine Hütte hätte nehmen können.
Heiße Röte schoss ihr in die Wangen, als sie an ihr gestriges Verhalten dachte und an die Folgen, die es hätte haben können. Sie hatte sich ihm an den Hals geworfen, ohne an ihre Tugend und ihre Würde zu denken. Wenn Wolf Heart nicht so ein Ehrenmann gewesen wäre …
" Peh-eh-wah!" Swan Feather war ihr gut zwanzig Schritte vorausgeeilt. Sie stand an der nächsten Wegbiegung und winkte ungeduldig. Clarissa rannte ihr nach.
"Wo … ist Wolf Heart?" Sie kramte in ihrem Vorrat an Wörtern der Shawnee-Sprache, die sie in der Mondhütte gelernt hatte. Sie musste ihn unbedingt finden und die Dinge richtig stellen, nachdem sie ihn gestern Abend so ungerechtfertigt angegriffen hatte.
"Fort." Swan Feathers Gesichtsausdruck war ebenso vage wie ihre Antwort. Auf Clarissas verwirrten Blick hin drehte sie sich um und wies mit der Hand nach Norden, weg vom Dorf und dem Fluss. "Fort", wiederholte sie in ihrer Sprache. "Für lange Zeit."
"Wo? Wie … wie viele Tage?" fragte Clarissa und hielt ihre Finger hoch, doch die alte Frau hatte sich schon wieder umgedreht und strebte ihrem unbekannten Ziel zu. Sie folgte ihr verwirrt. Wolf Heart hatte gestern mit keinem Wort erwähnt, dass er fortwollte. Wie konnte er einfach so verschwinden? Ohne ihr etwas zu sagen?
Kleinlaut musste sie einräumen, dass er tun und lassen konnte, was ihm beliebte. Er war ihr ebenso wenig verpflichtet wie sie ihm.
"Schau!" Swan Feather stand am Rand des Wäldchens. Vor ihnen lag eine offene Wiese mit kniehohem Gras, gesprenkelt mit bunten Wildblumen. Ein trächtiges Reh, das auf der Wiese graste, hob den anmutigen Kopf, als sie sich näherten. Dann zuckte es mit dem weißen Spiegel und sprang in den Schutz der Bäume zurück. Ein Schwarm Distelfinken flog in einer flatternden Wolke auf.
"Komm!" Die Alte ging auf die Wiese hinaus und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Clarissa erkannte mit einem Schauder, dass hier Gefahr drohen konnte. Sie und Swan Feather waren allein und unbewaffnet und damit so verwundbar wie das Reh und die Vögel.
Swan Feather packte ihren Korb fester und watete durch das dicke, nasse Gras. Eine Aura urwüchsiger Wildheit umgab sie plötzlich, als hätte sie die Altweiberhaut abgestreift und im Dorf zurückgelassen. Sie wirkte wie auf dem Sprung, mit geschärften Sinnen, und sie bewegte sich rasch und geschickt.
Stahl blitzte in der Sonne auf, und Clarissa bemerkte, dass Swan Feather ein kleines, scharfes Messer unter ihrem Lederkleid hervorgeholt hatte. Mit einem leisen Grunzen stürzte sie sich auf etwas im Gras und hackte so wild darauf ein, dass Erde aufspritzte. Hatte sie etwa ein Tier erlegt? Ein Eichhörnchen oder ein Murmeltier? Clarissa wartete gespannt und fragte sich schon, ob sie Swan Feather vielleicht zu Hilfe eilen sollte. In diesem Moment riss die Alte eine große, unregelmäßig geformte Wurzel aus dem Boden. Sie hielt sie hoch und sagte etwas auf Shawnee, das sich wie ein Name anhörte.
Als Clarissa sie nur verständnislos anstarrte, bellte sie das Wort noch einmal, diesmal etwas ungeduldig, und fuchtelte mit dem Messer durch die Luft. Clarissa erriet, was sie wollte, und wiederholte die Silben, die für sie keine Bedeutung hatten. Swan Feather nickte und drückte ihr die Wurzel in die Hand. Es war Kalmus. Sie erinnerte sich, dass sie den scharfen Geruch schon in Mrs. Pimms Küche wahrgenommen hatte. Diese wild wachsende Variante war milder, nicht ganz so scharf, aber es war eindeutig die gleiche Pflanze.
Sicherheitshalber wiederholte sie den Namen noch einmal und wollte Swan Feather die Wurzel gerade zurückgeben, als die alte Frau sich plötzlich zusammenkrümmte und sich mit schmerzhaft verzogenem Gesicht den Bauch hielt.
"Was ist los?" Mit einem Satz war Clarissa neben ihr. Sie merkte gar nicht, dass sie Englisch sprach. "Bist du krank? Soll ich dich ins Dorf zurückbringen?"
Ohne ihre Besorgnis zu beachten, griff Swan Feather nach der Wurzel und schüttelte sie aufgeregt vor ihrem Gesicht. " We-sah!" Sie wies auf ihren Bauch. "Gut dafür."
Erst jetzt begriff Clarissa, dass die alte Frau versuchte, ihr die Shawnee-Medizin beizubringen.
Im ersten Augenblick wollte sie schon spöttisch auflachen, doch plötzlich wurde ihr die Kehle eng. Dies war das kostbarste Geschenk, das die barsche alte Indianerin zu geben hatte – ihre Künste als Heilerin. Hochherzig bot sie Clarissa dieses noble Geschenk dar und
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