Die Braut des Shawnee-Kriegers
auch und vor allem nicht ihre Gefühle zu Wolf Heart.
Clarissa verhärtete ihr Herz, hob das Kinn und lächelte.
Himmel und Landschaft verschwammen vor Wolf Hearts Augen, während er mit gekreuzten Beinen völlig erschöpft im Höhleneingang saß. Vier Tage lang hatte er weder gegessen noch getrunken, und seine Wahrnehmung hatte allmählich begonnen, sich zu verzerren. Durch den Spiegel seiner losgelösten Sinne floss das Sonnenlicht wie Wasser und glitzerte in allen Farben des Regenbogens. Bäume ragten drohend wie Monster vor ihm auf und winkten mit Spinnenarmen. Der Wind schnitt wie ein Messer in seine nackte Haut.
Hunger und Durst empfand er schon lange nicht mehr. Sein Magen schien zur Größe einer geballten Faust zusammengeschrumpft, und sein Mund fühlte sich an wie Rohleder. Zuweilen hatte er das Gefühl, als wäre sein Körper bereits gestorben und nur sein Geist noch am Leben. Und selbst der begann zu flackern wie der Stumpf einer Kerze.
Er hatte alles getan, wie der Brauch es vorschrieb, und doch war der Wolf nicht zu ihm gekommen. Stattdessen sah er Clarissa vor sich. Ihr feuriges Haar wehte wie ein leuchtendes Band durch die Weiden. Ihre Züge spiegelten sich am Rand einer Wolke wider, und ihre Arme streckten sich ihm aus der Nacht entgegen.
Verhinderte sie seine wahre Vision, oder war sie ein Teil von ihr? Wolf Heart wusste es nicht mehr. Er hatte versagt. Niedergeschlagen starrte er auf den dunklen Kreis auf dem Felsen, wo er Tabak als Opfergabe für Kokomthena verbrannt hatte. Es war keine Schande, wenn eine Vision sich nicht einstellte. Er konnte es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchen. Doch der Gedanke, unverrichteter Dinge ins Dorf zurückzukehren, war mehr, als sein Stolz ertrug.
War das vielleicht der Hemmschuh für seine Vision? Sein eigener störrischer, selbstsüchtiger Stolz?
Mit einer Anstrengung, die ihn schwindeln ließ, kam Wolf Heart auf die Beine und stützte sich taumelnd an den Wänden des Höhleneingangs ab. Er schaute hinunter, über Erlen und Weiden hinweg, auf den breiten Ohio-se-pe, der sich wie eine große Schlange durch das Tal wand. Seine Wellen glitzerten im goldenen Licht der Nachmittagssonne.
Vier Tage waren die übliche Zeit für die Suche nach einer Vision. Er konnte zum Fluss hinuntergehen und seinen Körper mit dem klaren Wasser erfrischen. Dann könnte er ins Dorf zurückkehren … und zu Clarissa. Die Erinnerung an sie erfüllte ihn selbst in diesem geschwächten Zustand mit Sehnsucht.
Nein, er würde nicht zurückkehren. Allein der Gedanke belastete sein Gewissen. Er würde an diesem heiligen Ort bleiben, dem Verlangen seines Körpers widerstehen und auf die Vision warten.
Auf die Vision, die von neuem seine Identität als Shawnee besiegeln würde.
Er wandte sich ab und taumelte zurück in das Halbdunkel der Höhle. Er hatte im Rat alte Geschichten von Kriegern gehört, die auf der Suche nach einer Vision Weshemoneto ihre Finger geopfert hatten. Sie hatten nur die beiden behalten, die man zum Spannen einer Bogensehne brauchte. Der Höhlenboden war übersät mit scharfkantigen Flintsteinen. Starr vor plötzlichem Entsetzen blickte Wolf Heart hinab auf seine Finger. Würde er die Kraft haben? Wünschte er sich die Vision so sehnlich, dass er seine Hand auf den Felsen legen, eine Feuersteinklinge heben und …
Schaudernd zuckte er vor diesen Überlegungen zurück. Seine Gedanken suchten Zuflucht bei Erinnerungen an Clarissa, dem Glanz ihrer grünen Augen, der Süße ihres Körpers an seinen brennenden Lenden, der Leidenschaft ihrer feuchten Lippen und der Weichheit ihrer Brüste in der Höhlung seiner Hand …
Doch solche Trugbilder führten ins Nirgendwo, und verzweifelt ballte Wolf Heart die Hände. Wo war das schlichte Vertrauen seiner Jugend, als er die Vision gesucht und mühelos gefunden hatte? Warum war es diesmal so unendlich viel schwerer?
In seinem Kopf drehte sich alles, als er wieder zum Höhleneingang ging und sich über den steilen, mit Gestrüpp bewachsenen Abhang vorbeugte. Vielleicht wäre es besser, sich niederzulegen und ein wenig zu schlafen. Vielleicht kam die Vision in einem Traum zu ihm. Doch er wusste nur zu gut, dass sein gequälter Geist ihm keinen Schlaf gönnen würde. Die Suche nach einer Vision erforderte Disziplin und ein offenes Herz. Er hatte das Dorf aufgewühlt und zornig verlassen, und die vier Fastentage hatten nicht gereicht, um seinen inneren Frieden wiederherzustellen. War sein Versagen ein
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