Die Braut des Shawnee-Kriegers
Andererseits hatte sie sich noch nie in ihrem Leben stärker, freier und selbstbewusster gefühlt. Aber glücklich?
Sie wandte den Kopf und schaute hinaus auf den dunklen Teich. "Ich weiß es nicht", sagte sie aufrichtig. "Ist das denn überhaupt von Bedeutung? Ich habe doch gar keine andere Wahl, als hier zu sein."
Sie spürte seinen Blick, der auf ihr ruhte, spürte die seltsame Traurigkeit darin. "Ich war am Anfang auch nicht glücklich hier", sagte er. "Ich vermisste meinen Vater, trotz allem, was er mir angetan hatte. Es war schwer für mich, Freunde zu finden. Die Shawnee-Jungen zogen mich wegen meiner weißen Haut auf und weil ich bei ihren Spielen nicht so gut mithalten konnte. Ich hatte Mühe mit der Sprache und tat mich schwer beim Jagen und Kämpfen. Es war nicht leicht zu lernen, ein Shawnee zu sein. Oft hat mich nur die Angst vor der Blamage davon abgehalten, in Tränen auszubrechen."
"Willst du damit sagen, dass ich das alles genauso lernen könnte wie du? Dass ich eine Shawnee werden könnte?" Bei diesem Gedanken spürte Clarissa ein merkwürdiges Prickeln im Nacken. Sie hatte bei den Shawnee Freundlichkeit, ja sogar Güte erfahren, Redlichkeit und Respekt gefunden. Und sie war einem Mann begegnet, den sie ein Leben lang lieben könnte, wenn sie die Chance dazu hätte.
Aber nein, das war nur ein dummes Hirngespinst. Sie würde fliehen, nach Baltimore zurückkehren in das große Backsteinhaus, zu ihren eleganten Kleidern, ihren Freunden und ihrem Bruder. Sie würde zurückkehren in die Sicherheit der zivilisierten Welt, und nichts würde sie davon abhalten.
Nichts.
Wolf Heart hatte ihre Frage nicht beantwortet. Vornüber gebeugt und die Ellbogen auf die Knie gestützt, wirkte er bekümmert. Clarissa streifte ihn mit einem Seitenblick und kämpfte gegen den Wunsch an, ihm über den Rücken zu streichen oder die Knöchel seiner gefalteten Hände zu berühren. War er im Begriff, sie zu fragen, ob sie hier bei ihm bleiben wollte … als seine Frau? Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Als die Schatten länger wurden, konnte sie ihre innere Spannung nicht länger bezähmen und das Schweigen nicht mehr ertragen.
"Ich habe dir alles gesagt, was ich konnte", meinte sie. "Aber ich kann deine Frage nicht beantworten, solange ich nicht weiß, was du eigentlich willst."
Er musterte sie mit einem scharfen Blick. "Ich kam her, um zu verhindern, dass einer alten Frau das Herz gebrochen wird." Seine Worte gaben ihr einen Stich. "In zwei Tagen, bei unserem großen Fest, will Swan Feather bekannt geben, dass sie dich als ihre Tochter annimmt."
Clarissa erstarrte. Ihr war, als hätte er einen Eimer Eiswasser über ihr ausgeleert. Wortlos starrte sie ihn an. Sie war überwältigt vom hochherzigen Geschenk der alten Frau und gleichzeitig bestürzt über ihre eigene Undankbarkeit. Das konnte sie natürlich nicht annehmen. Sie würde ja nicht einmal mehr hier sein. Aber was sollte sie Wolf Heart sagen?
"Wenn dies nicht deinem Wunsch entspricht, dann sag es mir gleich", bat er. "Vielleicht finde ich dann eine Möglichkeit, Swan Feather die Sache so schonend wie möglich auszureden."
"Als Swan Feathers Tochter wäre ich dann eine Shawnee?" fragte Clarissa zögernd.
"Du wärst noch mehr als das." Seine Stimme klang völlig unbewegt. "Du wärst eine mekoche, eine Heilerin."
"Und die anderen … die Frauen und die Krieger?" flüsterte sie. "Würden sie es unterstützen?"
"White Moon spricht für die Frauen und Hunts-at-Night für die Männer. Sie haben ihre Zustimmung bereits gegeben. Jetzt fehlt nur noch dein Einverständnis."
Clarissa fühlte sich innerlich völlig zerrissen. Sie ließ sich nach vorn sinken und vergrub das Gesicht in den Händen. Die Decke rutschte herab und entblößte ihre Schultern. Clarissa ließ sie fallen, ohne die plötzliche Kühle auf ihrer Haut zu beachten.
"Swan Feather will dich überraschen", fuhr Wolf Heart fort. "Ich hätte ihren Wunsch gern respektiert, aber ich würde es nicht ertragen, wenn du sie vor aller Augen mit deiner Weigerung demütigst."
Clarissa hob den Kopf und sah ihn an. "Glaubst du im Ernst, ich würde Swan Feather freiwillig demütigen?" fragte sie mit erstickter Stimme.
"Du hast mir einmal gesagt, dass du lieber ein Hund wärst als eine Shawnee."
"Damals war ich wütend und wollte dich verletzen."
"Bedeutet das, dass dein Herz sich geändert hat, Clarissa? Heißt das, dass du bereit bist, eine von uns zu werden?"
Seine Augen waren im Zwielicht von einem tiefen
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