Die Braut des Shawnee-Kriegers
herabkommen, so groß und gut aussehend, dass schon sein Anblick allein ihr die Kehle zuschnürte.
Als er sie in die Arme nahm, kam ihr zum Bewusstsein, dass er nicht Englisch, sondern Shawnee mit ihr gesprochen hatte.
Für den Bruchteil einer Sekunde machte sie sich steif. Dann beschloss sie, es durchgehen zu lassen, und hob ihm das Gesicht entgegen. Sie schmolz dahin, schmiegte sich an ihn, bis sie vor Verlangen ganz taumelig wurde. Hier war ihr Platz, alles, was sie sich wünschte.
Er hielt sie einen Augenblick fest umschlungen. Dann schob er sie lachend von sich. "Benimm dich", neckte er sie. "Sonst löst du noch einen Waldbrand aus."
"Wieso?"
"Hier kommen viele Leute vorbei. Jemand könnte uns beobachten."
"Wäre das denn so schlimm?" Sie sprach Shawnee, um ihm eine Freude zu machen. "Es macht mir nichts aus, wenn die ganze Welt weiß, wie sehr ich dich liebe."
"Manche Dinge gehören nicht in die Öffentlichkeit. Sie sollten sich auf die Zeit beschränken, in denen die Menschen allein sind." Noch bevor sie einen Schmollmund ziehen konnte, nahm er sie bei der Hand und zog sie sanft, aber unerbittlich auf den Weg, der am Ufer entlangführte. Clarissa folgte ihm, aber sie spürte, wie ihre Laune sich mit jedem Schritt verschlechterte. Sie hatte geglaubt, dass alles von einem Augenblick auf den anderen in bester Ordnung sein würde, wenn sie erst eine Shawnee war. Aber nichts war so, wie sie es erwartet hatte, nicht einmal Wolf Heart.
Sie erreichten eine Flussbiegung, an der die Zweige der Weiden am Ufer bis ins Wasser herabhingen und sich anmutig in der Strömung wiegten. Dadurch entstand eine Art idyllischer Laube, in der sie vor etwaigen Blicken geschützt waren. Hier blieb Wolf Heart endlich stehen und zog sie wieder in die Arme. Clarissa ließ sich gegen ihn sinken. Sie fühlte sich entmutigt und schutzbedürftig.
"Nanu, wo ist denn jetzt der Waldbrand geblieben?" Seine Lippen liebkosten ihren Haaransatz. "Ist er so schnell verpufft?"
Clarissa schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich innerlich ganz zerrissen.
"Was ist los?" fragte Wolf Heart. Er legte ihr den Finger unters Kinn und hob ihr Gesicht. Seine Augen waren so blau, dass es ihr mitten ins Herz drang. Sie unterdrückte ein Schluchzen und trat einen Schritt zurück.
"Schau mich an!" forderte sie ihn auf. Sie sprach jetzt wieder Englisch. "Was siehst du?"
Sein Blick glitt über sie hin. Dann verengten sich seine Augen unter den schwarzen Brauen. "Ich sehe Schönheit", sagte er leise. "Ich sehe Mut und Liebe. Und so ungern ich es zugebe, ich sehe auch Traurigkeit."
Clarissa rührte sich nicht von der Stelle. Sie widerstand dem Wunsch, sich in seine Arme zu werfen. "Aber siehst du eine Shawnee? Abgesehen von den Kleidern, siehst du eine andere Frau als die von gestern?"
"Clarissa …" Er brach ab und sah sie bestürzt an. Ihm kam zum Bewusstsein, dass der unwillkürliche Gebrauch ihres christlichen Vornamens die Frage schon beantwortet hatte. Er legte ihr die Hände auf die Schultern, zog sie eng an sich und drückte sie an die Brust. "Sei nicht so ungeduldig mit dir selbst", sagte er leise und strich mit den Lippen über ihre Schläfe. "Heute ist erst der Anfang, wie die Geburt und Namensgebung eines Kindes. Es braucht Zeit, zu wachsen und zu lernen. Jeder wird das verstehen … jeder außer dir, wie mir scheint. Swan Feather sagt …"
"Behandle mich nicht wie ein kleines Kind!" begehrte sie auf und machte sich von ihm los. "Und Swan Feather hat überhaupt nichts zu mir gesagt! Selbst nach der Zeremonie, als sie gerade meine Mutter geworden war, hat sie einfach nur dagestanden. Dann hat sie sich weggedreht und irgendetwas gemurmelt, dass sie jetzt weiter kochen muss. Ich habe schon befürchtet, sie gekränkt zu haben …"
"Du hast niemanden gekränkt." Er legte ihr die Hände wieder auf die Schultern und drehte sie zum Fluss hin. Nun stand sie mit dem Rücken zu ihm, und er hatte die Arme locker um sie gelegt. Schweigend schaute sie hinaus auf den Strom. Sie sah das Spiel der Sonnenstrahlen auf dem Wasser, das ihre Augen blendete.
"Die Shawnee lernen von klein auf, keine Gefühle zu zeigen." Er sprach jetzt auch Englisch, um sicherzugehen, dass sie jedes Wort verstand. "Es ist eine Frage des Überlebens … Ein schreiendes Baby kann den Feind aufmerksam machen und so den Tod über alle Dorfbewohner bringen. Wenn die Kinder aufwachsen, lernen sie, dass es eine Schwäche ist, Schmerz zu zeigen. Ein Krieger zuckt nicht mit der Wimper, wenn er
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