Die Braut des Shawnee-Kriegers
lange zu warten. Wie auf ein geheimes Signal sprangen alle Frauen gleichzeitig auf und kamen eilig herbei. Lachend und schnatternd drängten sie sich um sie und begannen sie in Richtung der Tür zu schieben.
Sie wollten mit ihr nach draußen, obwohl sie bemalt und nackt war und vor Scham glühte. Sie wollten mit ihr nach draußen!
Ihre mühsam aufrechterhaltene Fassung drohte Clarissa zu verlassen, als sie durch die Tür hinaus in das blendende Sonnenlicht traten. Es war eine Sache, nackt vor einer Frauengruppe zu stehen, aber vor den Augen des ganzen Dorfes … Das war zu viel verlangt. "Nein!" stieß sie hervor und leistete zum ersten Mal Widerstand. "Das kann ich nicht tun!"
"Es ist alles in Ordnung", flüsterte White Moon dicht an ihrem Ohr. "Schau, die Frauen bleiben alle ganz eng bei dir. Kein Mann wird sehen, was nicht für seine Augen bestimmt ist. Dies ist eine der Lektionen, die du heute lernst – dass Shawnee-Frauen zusammenhalten und einander beschützen."
Es war genau so, wie die Frau des Häuptlings gesagt hatte. Der Schutzschild aus Frauen, die sie dicht umdrängten, verbarg ihre Nacktheit vor unbefugten Blicken. Über die Köpfe der Shawnee hinweg erkannte sie Wolf Hearts Gesicht in der Menge. In dem kurzen Moment, da ihre Blicke sich kreuzten, erkannte sie seine Besorgnis, und ihr wurde klar, wie sehr er gebangt haben musste, ob sie dieses seltsame Ritual über sich ergehen lassen würde.
Sie hob das Kinn und zwang ein tapferes Lächeln auf ihr farbverschmiertes Gesicht. Sein Blick wurde weich, voller Liebe und Zärtlichkeit. Aber schon wurde sie von den Frauen weitergeschoben, und sie bewegten sich zielstrebig hinunter zum Flussufer.
Sie kamen an den Gärten vorbei, wo in dem fetten Flussschlamm alles vortrefflich gedieh. Clarissa spürte, wie der Boden unter ihren Füßen erst feucht und dann nass wurde. Die Frauen waren jetzt in Hochstimmung. Als eine stattliche Matrone zu singen begann, fielen die anderen ein. Sie glichen ihre Schritte dem Takt des Gesangs an, während sie bis auf Hüfthöhe in das kalte Wasser marschierten. Dort begannen sie, noch immer lachend und singend, die Farbe von ihrer Haut zu schrubben.
Dabei gingen sie nicht eben sanft zu Werke. Sie benutzten Grasund Kräuterbüschel und sogar Sand, um jedes Fleckchen der bemalten Haut sauber zu scheuern. "Wir werden alles, was weiß ist, von dir abwaschen", erklärte White Moon, während sie sich mit einem Stück Binsenmatte über Clarissas Rücken hermachte. "Was übrig bleibt, wird ganz und gar Shawnee sein."
Clarissa biss die Zähne zusammen. Sie wusste, dass es ihr Schande bringen würde, wenn sie sich anmerken ließe, wie weh die Waschzeremonie auf ihrer wund gescheuerten Haut tat. Die Frauen lachten, sangen und schrubbten ungerührt weiter. Es dauerte so lange, dass sie ihre ganze Kraft aufbieten musste, um sich nicht schreiend loszureißen, aus dem Fluss zu waten und in den Wald zu fliehen. Wo waren eigentlich ihre Kleider? Mit Sicherheit nicht mehr zu gebrauchen. Was in aller Welt sollte sie anziehen?
Endlich war zum Glück auch diese Tortur vorbei. Clarissa wurde noch einmal untergetaucht, damit das fließende Wasser auch den letzten Rest der Farbe wegspülen konnte. Dann stakste sie unter den Jubelrufen der Frauen aus dem Fluss, so rein und rosa wie ein neugeborenes Baby.
Die Sonne war warm, doch der Wind hier unten am Fluss war noch frühlingshaft kühl. Als Clarissa das Ufer erreichte, klapperten ihre Zähne, und sie hatte eine Gänsehaut am ganzen Leib. Sie fühlte sich absolut nicht wie eine Shawnee, nur wund, nass und kalt. Auch als White Moon sie in eine Decke wickelte, hörte sie nicht auf, vor Kälte zu zittern.
Die beiden jungen Mädchen Red Fawn und Laughing Bird begannen Clarissas zerzauste Locken auszukämmen. Von dort, wo sie in die Decke eingewickelt stand, konnte sie Swan Feather sehen. Die alte Frau saß auf einem flachen Stein am höher liegenden Ufer und hielt ein dickes Bündel in den knotigen braunen Händen. White Moon ging zu ihr hinüber, nahm es ihr ab und brachte es zu Clarissa.
"Das ist für dich", sagte sie lächelnd. "Viele Hände haben bei der Herstellung geholfen, auch deine."
Verwirrt entrollte Clarissa das Bündel und blickte dann sprachlos vor Überraschung und mit großen Augen auf das, was zum Vorschein kam. Es war ein gerade geschnittenes, locker herabfallendes Kleid aus allerfeinstem, weißem Wildleder. Es hatte Fransen am Saum und am Halsausschnitt eine wunderhübsche Borte
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