Die Braut des Vagabunden
unausgesprochene Frage. „Ich will dich nicht in Gefahr bringen. Außerdem brauchst du Ruhe. Wenn ich fort bin, verriegle die Tür und versuche zu schlafen.“
Temperance saß auf dem Bett und sah zu, wie er seinen Überrock anlegte, den Degen und schließlich die Perücke. Er sah sie an und grinste. „Sitzt sie gerade?“, fragte er.
„Man hat keine Worte für deine Eitelkeit“, meinte sie. Trotz allem hob sich ihre Stimmung angesichts des vertrauten Lächelns. Es beruhigte sie weit mehr als das Geld, das er ihr in den Schoß gelegt hatte. Vielleicht machte sie sich etwas vor, aber sie hatte das Gefühl, das wäre der freundliche Blick eines Mannes für eine Frau, an der ihm etwas lag – nicht für eine, die er benutzt hatte, um ein flüchtiges körperliches Bedürfnis zu stillen. Sie kniete sich hin, ohne auf das wunde Gefühl zwischen ihren Schenkeln zu achten, und ordnete seine Locken.
„Danke.“
Sie sah ihm in die Augen. Er schenkte ihr ein etwas schiefes Lächeln. „Ich komme zurück“, sagte er. „Ich verspreche es.“
Southwark. Spät am Abend des Dienstags, 4. September 1666
Temperance saß auf dem Bett und lauschte auf die fremdartigen Geräusche im Gasthaus und auf den Lärm, der von den Straßen zu ihr hereindrang. Zuvor hatte sie das kleine Zimmer gerade lange genug verlassen, um von einem der Dienstboten etwas zum Essen und Trinken zu kaufen, aber weiter weg zu gehen hatte sie nicht gewagt. Sie hatte dem Wirt mehr Geld geben müssen, damit sie in dem beengten Raum bleiben durfte, und sie wusste, wenn sie fortging, würde sie das Zimmer verlieren. Sie sorgte sich um Isaac, tröstete sich aber mit dem Gedanken, dass er in dem Kaffeehaus in Covent Garden in Sicherheit war.
Der starke Wind hatte den ganzen Tag über geweht und das Feuer weiter nach London getrieben. Früh am Abend war Temperance in einen unruhigen Schlaf gesunken, nur um durch ferne Explosionen zu erwachen. Sie war zum Fenster gekrabbelt und hatte entsetzt festgestellt, dass das Feuer heller brannte als zuvor.
Plötzlich klopfte es an der Tür, und sie zuckte zusammen.
„Tempest? Temperance, lass mich hinein.“ Jacks Stimme klang heiser und erstickt.
Hastig öffnete sie die Tür. Er legte die Hände auf ihre Schultern und schob sie zurück, sodass auch er den kleinen Raum betreten konnte.
„Habe ich dich geweckt?“
„Nein.“ Er war zurückgekommen! Innerlich jubelte sie vor Glück – dann spürte sie seine Anspannung, und alles in ihr zog sich zusammen. „Hast du deinen Cousin gefunden?“
„Nein. Ich habe gerade im Gefängnis nach ihm gesucht.“
„Gefängnis?“ Temperance war fest davon überzeugt, sich verhört zu haben.
„Ja. Hier.“ Jack griff nach ihrem Handgelenk und hielt es fest. „Dies ist für dich.“ Sie fühlte, wie er ihr etwas Schweres in die Hand legte. Sie schloss die Finger darum und fühlte, dass es eine Geldbörse war. „Steck sie weg, dorthin, wo sie sicher ist“, befahl er. „Wo ist der Nähkasten deiner Mutter?“ Ohne auf ihre Antwort zu warten, begann er danach zu tasten.
„Wozu brauchst du den?“
„Ich bringe dich zu Fanny Berridge.“
„Es ist mitten in der Nacht!“
„Ich kann nicht bis morgen früh warten“, sagte Jack. Sie hörte den ungeduldigen Klang seiner Stimme.
„Es tut mir leid.“ Er holte tief Luft, und sie begriff, wie sehr er sich anstrengte, sanfter zu sprechen. „Nimm das auch.“
„Was?“ Sie streckte die Hand aus und fühlte sich noch verwirrter, als er ihr nichts gab.
„Halt still.“ Er hob die Hände über ihren Kopf. Gleich darauf fühlte sie ein leichtes Gewicht an ihrem Hals. „Behalte das bei dir, bis ich zurück bin. Am besten trägst du es in deinem Mieder, dort ist es sicher.“
Sie berührte ihre Brust und stellte fest, dass er ihr eine Kette umgehängt hatte. Sie tastete an den Gliedern entlang und fand einen Ring.
„Was ist das?“
„Mein Ring. Jetzt kann ich nicht hierbleiben, aber ich werde zurückkommen.“
Temperance streckte den Arm aus und berührte im Dunkeln seine Wange. Sie konnte ihn kaum sehen, aber er strahlte Ungeduld und Erregung aus.
„Warum hast du im Gefängnis nach deinem Cousin gesucht?“, fragte sie.
„Das ist eine lange Geschichte – viel zu lang. Komm.“ Er umfasste ihr Handgelenk und zog sie zur Tür.
„Warte.“
„Ich habe keine Zeit …“
„Jack.“ Sie hielt inne und dachte daran, wie er ihr geholfen hatte, die Panik zu überwinden in den letzten Momenten, ehe sie den Laden
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