Die Braut des Vagabunden
verließ. Jetzt musste sie die richtigen Worte finden, um ihn zu beruhigen. „Es ist noch etwas Zeit“, sagte sie sanft. „Morgen früh werde ich allein zu Fanny gehen. Ich werde sicher sein. So bleibt dir genug Zeit, um mir zu sagen, warum du glaubst, dass dein Cousin im Gefängnis war.“
Sie fühlte, wie er tief Atem holte, und sie spürte, wie schwer es ihm fiel, stillzustehen und zu reden, wenn er so gern etwas tun wollte.
„Als ich in Putney ankam, stellte ich fest, dass Jakob mir am Sonntag eine Nachricht geschickt hatte“, sagte er. „Darin berichtete er mir, dass er als Gefangener in Newgate war, und bat mich, zu kommen und ihn herauszuholen. Aber als ich in London eintraf, stellte ich fest, dass Newgate schon abgebrannt war. Die Gefangenen waren nach Southwark gebracht worden. Ich begab mich dorthin und habe gesucht, überall. Ich war sogar im Haus von Swiftbourne, aber er hat auch keine Neuigkeiten.“ Der gequälte Klang in Jacks Stimme war unüberhörbar. „Ich muss ständig daran denken – vielleicht ist das passiert, weil ich in Dover Jakobs Mantel gestohlen habe – nur warum sollten sie das Opfer einsperren und nicht den Dieb?“
Temperance ertrug es nicht, den gequälten Klang seiner Stimme zu hören. Sie fragte sich, wer Swiftbourne war, aber vor allem sorgte sie sich Jacks wegen. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich.
„Das ist Unsinn“, sagte sie. „Ein Mann, den man in Dover festnimmt, wird nicht in Newgate eingesperrt. Es ist nur ein Irrtum und hat nichts mit dir zu tun. Und du kannst ihn nicht finden, weil er – wenn er nur ein bisschen Ähnlichkeit mit dir hat – längst geflohen ist.“
Einen Moment lang blieb Jack stocksteif stehen, dann schloss er die Arme um sie und hielt sie genauso fest wie sie ihn. „Das sage ich mir auch ständig“, sagte er. „Jakob ist Soldat. Als sie die Gefangenen überführten, muss vollkommenes Chaos geherrscht haben. Da könnte er leicht entkommen sein.“
„Vielleicht wurde er sogar frei gelassen, ehe das Feuer Newgate erreichte“, sagte Temperance, froh darüber, dass Jacks Anspannung ein wenig nachgelassen hatte. „Vermutlich läuft er gerade jetzt durch London und sucht überall nach dir.“
Jack seufzte. „Höchstwahrscheinlich. Aber es war ein furchtbarer Schock, als ich diesen Brief las. Ich werde erst beruhigt sein, wenn ich ihn gefunden habe.“
„Ich weiß.“ Es gab so vieles, das Temperance gern gesagt hätte, trotzdem biss sie sich auf die Zunge. Jack war schon einmal zu ihr zurückgekommen. Sie musste darauf vertrauen, dass er es auch ein zweites Mal tun würde.
„Ich bringe dich zu Fanny“, sagte er. „Für eine Frau allein ist es nicht sicher in den Straßen.“
Temperance lachte leise. „Ich bin seit Jahren allein“, erklärte sie. „Außerdem bin ich eine unauffällige Händlerin. Während des Tages wird mich niemand belästigen.“
„Na schön, aber sei vorsichtig“, sagte Jack. „Geh zu ‚Bundle’s‘, sobald du kannst, und lass niemanden wissen, dass du diese Börse hast.“
„Ich bin nicht auf den Kopf gefallen“, erwiderte sie empört. „Und obwohl ich dir sehr dankbar bin, kann ich nicht noch mehr von deinem Geld nehmen …“
„Natürlich kannst du das. Die Welt steht kopf. Du weißt nicht, wann du deine Waren zurückholen und dein Geschäft wieder aufmachen kannst. Um Himmels willen, denk einmal praktisch!“
Sie beugte sich vor und – mehr durch glücklichen Zufall als mit Absicht – küsste seine Wange. „Dann danke ich dir sehr und nehme es an“, flüsterte sie. „Ich hasse die Vorstellung, unpraktisch zu sein“, fügte sie mit einem Anflug von Belustigung hinzu.
„Gut.“ Er zog sie erneut in die Arme und küsste sie, fordernd und verlangend. Wieder fühlte sie eine kleine Bestätigung, dass das intime Zwischenspiel vorhin für ihn nicht ganz bedeutungslos war. Ehe sie die Chance hatte zu reagieren, richtete er sich auf und trat zurück. „Ich komme zurück, so schnell ich kann“, erklärte er. „Sei inzwischen vorsichtig. Und wie schlecht die Geschäfte auch gehen mögen – versuch nicht wieder, nach Einbruch der Dunkelheit in Tavernen Musselin zu verkaufen.“
Covent Garden. Später in derselben Nacht
Obwohl es kurz nach Mitternacht war, wimmelte es im Kaffeehaus von Menschen. Bundle beobachtete das Fortschreiten des Brandes, doch bisher hatte er sich noch nicht entschlossen zu fliehen.
„Kaffee oder Bier?“, fragte er Jack
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