Die Braut des Vagabunden
als er einräumte, dass er vielleicht darüber nachdenken sollte, wie er auf ihre Liebe reagiert hatte. Temperance verfügte nicht über die Fähigkeiten einer erfahrenen Kokotte, doch er fand ihre direkte sinnliche Neugier und die Art, wie sie seinen Körper bewunderte, außerordentlich anregend. Er freute sich, dass sie seine Hände und seine Schultern mochte – und der Gedanke, wie sie ihn herausgefordert und geneckt hatte, genügte, um sein Verlangen erneut zu wecken. Das Gefühl, sich auf dem Höhepunkt ihrer Lust in ihr zu verlieren, war so überwältigend gewesen, dass er sich gleich danach von ihr zurückgezogen hatte. Er hatte diese Zeit gebraucht, um seine Fassung wiederzugewinnen.
Nie zuvor hatte er sich erlaubt, sich so völlig der Leidenschaft hinzugeben. Aber es war kein Zwischenspiel, nach dem er einfach davongehen konnte. Temperance lag in seinem Bett. Wenn er sich nicht vor Morgengrauen davonschlich, wie er es in der ersten Nacht getan hatte, dann würden sie am Morgen dem Tag gemeinsam entgegensehen. Die Aussicht auf diese Zweisamkeit war gleichermaßen beunruhigend und verlockend.
Er strich mit der Hand über Temperances Seite und ließ sie dann auf ihrem gerundeten Bauch ruhen. Wenn sie bekleidet war, gab es kein Anzeichen für ihre Schwangerschaft, doch unter dem Hemd konnte er die leichte Wölbung spüren. Er beschloss, dass sie es erst nach der Trauung bekannt geben würden, aber in der Stille der Nacht dachte er an das Baby.
Er fürchtete sich nicht vor der Vaterschaft. Obwohl er ein solch unmännliches Bekenntnis niemals laut ausgesprochen hätte, mochte er kleine Kinder. Er erinnerte sich daran, wie überrascht und bezaubert er von Toby als Neugeborenem gewesen war. Sein Sohn war so klein und zerbrechlich gewesen, seine Haut hatte sich so unglaublich zart angefühlt. Und er war vollkommen abhängig gewesen von der Fürsorge anderer.
Jack hatte nicht damit gerechnet, Toby zu lieben. Als das Kind empfangen wurde, befand er sich im Exil, und vor Tobys Geburt hatte er angenommen, er würde dasselbe tun wie andere Männer in dieser Lage: für seine Mätresse und ihr Kind großzügig sorgen, ohne sein Herz zu verlieren. Dann war Toby gekommen, und alles, was Jack über seine Geliebte und das Kind gedacht hatte, hatte sich als falsch erwiesen.
Als er Vivien das erste Mal sah, war er von ihr betört gewesen. Rückblickend erkannte er, warum er ihrem Charme erlegen war. Vivien war eine Schönheit und vermochte es, geschickt zu schmeicheln. Damals hatte er geglaubt, sie hätte sich zu ihm als Mann hingezogen gefühlt. Jetzt vermutete er, dass ein Teil davon stimmte, aber nicht so, dass es ihm gefiel.
Viviens vorheriger Beschützer war ein Mann in den Fünfzigern gewesen – und sie hatte Jack für einen älteren und reicheren Mann verlassen. Bei ihrer ersten Begegnung war Jack achtzehn gewesen, ohne Aussicht, sein Erbe wiederzuerlangen. Wenn er zurückblickte, dann war er überzeugt, dass Vivien nur eine kurze Liaison mit einem jungen, ausdauernden Mann gesucht hatte, ehe sie sich wieder der vollkommenen Sicherheit bei ihren älteren und reicheren Beschützern zuwandte.
Die unbeabsichtigte Schwangerschaft hatte ihr nicht gefallen. Sie hatte sie nur ungern ertragen und – sobald es nach Tobys Geburt möglich war – sich einen finanziell lohnenderen Beschützer gesucht. Jack hatte sie in ihrem Haus aufgesucht, wo er Toby schreiend in der Wiege fand, während die Amme daneben schnarchte. Später hatte er festgestellt, dass Vivien mit dem neuesten Liebhaber ausgegangen war.
Jack hatte seinen Sohn mit nach Hause genommen und zum ersten Mal seit Monaten einen tiefen Frieden empfunden. Auf eine sonderbare Art und Weise war er dankbar für Viviens Herzlosigkeit. Wäre sie eine bessere Mutter gewesen, wäre es nie so gekommen. Bei Temperance hingegen war er sich vollkommen sicher, dass sie außer sich sein würde, wenn er versuchte, sie von ihrem Kind zu trennen. Niemals hätte er sich ihr gegenüber so grausam benommen.
Schützend umfasste er ihren Bauch. In der kurzen Zeit, die er in Viviens nachlässiger Pflege verbracht hatte, hatte Toby keinen Schaden genommen, aber dieses Kind würde niemals schreien müssen, ohne dass sich jemand darum kümmerte.
Und was das ungewohnte Aufwachen im selben Bett mit Temperance anging – er würde es als normalen Bestandteil einer Ehe ansehen. Das musste er nicht mit ihr besprechen. Wenn sie es überhaupt erwähnte, dann würde er einfach sagen, dass er von
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