Die Braut des Vagabunden
ungläubig den Kopf, aber er schien eher belustigt als missbilligend.
„Zum Glück hast du dich im letzten Moment an den Kasten erinnert“, sagte er. „Sonst wäre er mit all den anderen Sachen auf dem Karren gewesen.“
„Ich weiß. Darüber habe ich oft nachgedacht“, sagte Temperance. „Ohne dich hätte ich ihn niemals gerettet.“ Zu ihrem Ärger stiegen ihr Tränen in die Augen. Möglichst beiläufig zog sie das Bettlaken etwas höher und versuchte, ihre feuchten Wangen mit dem Tuch zu trocknen. Als Jack sanft ihr Haar berührte, wusste sie, dass er es bemerkt hatte.
„Es tut mir leid, dass du alles andere verloren hast“, sagte er. „Wenn ich es für dich zurückholen könnte …“
Sie wandte den Kopf und sah ihn an, der noch immer nackt in der kalten Luft des Dezembermorgens neben ihr kniete. Die Feuer in ihren Gemächern wurden immer vor dem Morgengrauen von den Dienstboten entfacht, doch in Jacks Schlafgemach nur, wenn er den ausdrücklichen Befehl dazu gab. Als sie ihn fragte, warum er nicht jeden Tag ein Feuer wollte, zuckte er nur die Achseln und sagte, dass es der Mühe nicht wert war, weil er meistens morgens zu wenig Zeit in seinem Zimmer verbrachte, um das zu schätzen zu wissen.
Immer und immer wieder verwirrte er sie mit seinem widersprüchlichen Verhalten. So leicht, wie er seine Kleidung aus Samt und Spitze anzog, konnte er das Gebaren des Edelmanns anlegen – und häufig noch viel selbstverständlicher –, dann wieder verblüffte er sie mit seiner Schlichtheit.
Jetzt hatte er so gar nichts Großartiges an sich. Er bot ein herrliches Bild nackter Männlichkeit – aber sie sah, dass er gegen die Kälte nicht immun war. Zwar zitterte er nicht, doch sie bemerkte die Gänsehaut an seinen Armen. Gerade wollte sie ihm vorschlagen, sich anzuziehen, da traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag.
Jack kniete nackt in dem kalten Zimmer neben ihr, weil er sich mehr um sie sorgte als um sich selbst. Das war der Mann unter der Fassade des Dukes. Und sie liebte ihn.
Sie liebte Jack.
Wie betäubt, starrte sie ihn an und vergaß alles andere, weil die Wahrheit dieses Satzes sie zu überwältigen drohte.
Sie liebte Jack.
Vielleicht hatte sie das immer getan, obwohl sie aus vielen guten Gründen versucht hatte, dieses Wissen zu verdrängen: Er hatte sie in Southwark verlassen, wochenlang glaubte sie, er sei tot, und dann stellte sich heraus, dass er ein Duke war – was ihn noch unerreichbarer für sie machte als der Tod. Kein Wunder, dass sie sich nicht gestattet hatte, die Wahrheit anzuerkennen.
Sie liebte ihn mit all seinen Stimmungen – der heiteren Stimmung, der hochmütigen Ungeduld oder dem Mitleid. Als sie geglaubt hatte, niemals seine Frau sein zu können, hatte sie seine Witwe sein wollen. Jetzt war sie wirklich seine Gemahlin. Sie war mit dem Mann verheiratet, den sie liebte.
Es war eine verblüffende Entdeckung. Warum hatte sie das nicht früher bemerkt? Als sie, verärgert, weil er sich so kühl zurückgezogen hatte, in ihrem Zimmer auf und ab ging, warum hatte sie da nicht bemerkt, dass sie tatsächlich seine Liebe wollte, nicht nur ein bisschen mehr von seiner Aufmerksamkeit?
Doch ihre gute Stimmung schwand dahin, sobald sie sich an die Bedingungen seines Antrags erinnerte. Ihre Liebe wollte er ja nicht. Er wollte sie zur Gemahlin, weil sie entschlossen war, gegen alle Widerstände zu überleben. Und weil er sie begehrte. Die letzte Nacht war Beweis genug, dass er gern das Bett mit ihr teilte.
Während sie immer noch versuchte, sich mit der Situation abzufinden, stand Jack auf. Voller Liebe und Sehnsucht sah sie ihn an. In der vergangenen Nacht hatte sie in seinen Armen so viel Trost gefunden. Als sie ihn ansah, bemerkte sie, wie sich das Verlangen in ihm rührte. Plötzlich erkannte sie, dass er sich ihrer genauen Musterung nicht nur bewusst war, sondern darauf reagierte.
Sie errötete, wandte den Blick ab und hörte ihn leise lachen.
„Ich glaube nicht, dass du in der Lage bist, im Moment mehr von deinen ehelichen Rechten in Anspruch zu nehmen, Liebste“, sagte er ein wenig kurz.
„Oh nein!“ Sie presste das Bettlaken an ihren Mund, als sie sich an die unbedachten Worte erinnerte, die ihrer Liebesnacht vorausgegangen waren.
„Das hatte ich gar nicht gemeint“, sagte sie, die Stimme erstickt von ihren Händen und dem Bettlaken. „Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, dass ich meinte, was du glaubtest, ich würde es meinen – aber das meinte ich
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