Die Braut des Wuestenprinzen
verwickeln, so kurz diese auch sein mochte. Er faszinierte sie, daran bestand kein Zweifel. Doch ebenso stark wie die Anziehung, die von ihm ausging, waren ihre Bedenken, sich dieser Anziehung hinzugeben.
Außerdem tauchte er neuerdings in ihren Träumen auf. Dort verfolgte er sie, und sie rannte und rannte, konnte ihm aber nicht entkommen. Wenn sie treppauf lief, führten die Treppen ins Nirgendwo. Wenn sie eine Tür zuschlug, war er bei ihr, bevor sie den Schlüssel umdrehen konnte. Sobald er sie eingeholt hatte, erwachte sie schweißgebadet und mit klopfendem Herzen.
Einmal erwachte sie und fand jemanden über sich gebeugt, und ein im Traum unterdrückter Schrei entrang sich ihr.
„Alles in Ordnung, Liebes. Du träumst“, murmelte Lana leise. Elenor atmete tief durch.
„Was hast du denn geträumt?“, fragte ihre Freundin sacht. „Magst du es mir erzählen?“
„Oh, dieser Mann … dieser verdammte … Warum kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Zitternd setzte Elenor sich auf. Lana musste nicht fragen, von wem ihre Freundin sprach. Sie hatte schon lange gemerkt, wie panisch Elenor auf Karim reagierte.
„Träumst du öfter von ihm?“, fragte sie.
„Ja, er … er kommt durch Türen. Ich kann ihn nicht aufhalten und nicht entkommen.“
„Dann musst du aufhören, vor ihm wegzulaufen. Du musst dich umdrehen und dich ihm stellen“, riet Lana.
„Wie bitte?“, fragte Elenor entsetzt.
„Was soll er dir schon tun? Es ist doch nur ein Traum.“
Umdrehen und sich Karim stellen? Das würde sie mehr Überwindung kosten, als sie aufbringen konnte. „Aber er ist wirklich furchterregend“, warf sie ein.
„Wenn du aufhörst wegzulaufen, wirst du auch keine Angst mehr haben.“
„Aber heißt es nicht, dass wer im Traum stirbt, auch in Wirklichkeit stirbt?“
„Wer weiß?“
Beide lachten, und Elenors Unruhe verschwand.
Lanas Vorschlag, sie solle sich Karim stellen, ging Elenor nicht mehr aus dem Kopf. Sie wollte sich ihm stellen, ihm gegenübertreten und fragen … aber was sollte sie sagen? Manchmal saß er im Lesesaal neben ihr und begann ein Gespräch, aber was bewies das schon? Es nützte nichts, dass er ebenso gut wusste wie sie, dass er sie verfolgte. Was sollte sie sagen, wenn er es leugnete?
Sie fürchtete den Moment, in dem sie ihm gegenübertreten würde. Bisher hatte sie ihn nur ein Mal herausgefordert, und er hatte nicht gezögert, ihr zu zeigen, welche Macht er über sie besaß. Ein Duell gegen ihn würde sie verlieren – das hatte er selbst gesagt. Es ist töricht, einen Kampf zu beginnen, wenn man nicht sicher ist, dass man ihn gewinnen wird.
Einem Teil von ihr war es egal, ob sie gewann oder unterlag. Dieser Teil wünschte sich nur den Kampf. Also begann sie, sich auch noch vor sich selbst zu fürchten.
Es war ein wunderschöner Frühlingstag. Nach mehreren Tagen mit strömendem Regen lockte der strahlende Sonnenschein jeden nach draußen. Kaum jemand saß in der Bibliothek, aber Elenor musste eine Hausarbeit schreiben. Gegen Abend gingen die wenigen anderen Studenten, und sie hatte die zentralasiatische Abteilung für sich. Als die Sonne unterging, arbeitete Elenor noch immer konzentriert.
Plötzlich meinte sie, ein Geräusch zu hören – kaum merklich, fast nur ein Knistern in der Luft. Sie stand gerade vor einem Regal, den Rücken der Tür zugewandt, und blätterte in einem Buch. Vorsichtshalber drehte sie sich nicht um, sondern sah nur aus den Augenwinkeln zum Fenster, in dem sich der ganze Raum spiegelte.
Hinter ihr, im Eingang, stand jemand. Elenor wusste sofort, dass es Karim war. Natürlich, nachts ist die Biblio thek das reinste Goldfischglas. Er muss mich von draußen gesehen haben, dachte sie.
Sie legte das Buch weg und drehte sich langsam um. Zum ersten Mal seit dem Zusammentreffen unter dem Baum begegneten sie sich allein. Die Spannung zwischen ihnen traf Elenor wie ein Schlag.
Noch immer stand er in der Tür. Mit dem dichten, dunkel gewellten Haar, dem gepflegten Bart und diesen exotischen Smaragdaugen sah er wie aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit aus. Erst jetzt fiel ihr auf, wie außergewöhnlich gut er aussah. Er war schön wie eine mittelalterliche Christusfigur. Kein Wunder, dass er sie immer so aus der Fassung brachte.
Unverwandt starrten sie einander an. Fast hätte sie gefragt: Was willst du hier?, aber sie schaffte es, die Worte zurückzuhalten. Immerhin hatte er das gleiche Recht, die Bibliothek zu besuchen, wie sie.
Stattdessen
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