Die Braut des Wuestenprinzen
ein wenig frische Luft zu schnappen, war außer ihr niemand auf der Terrasse oder dem beleuchteten Teil des Rasens.
Ausnahmsweise dachte sie einmal nicht an Karim Dur-ran. Sie dachte an nichts, das Tanzen und die Musik hatten ihren Kopf wieder frei gemacht. Entspannt ging sie ein paar Schritte auf dem weichen Gras, genoss die laue Frühlingsluft, die Sterne und die vom Aufenthaltsraum herüberklingende Musik.
Sie schlenderte zu einer Eiche am anderen Ende des Rasens, von der es hieß, sie sei mehrere Hundert Jahre alt. Zweimal, einmal in den Sechzigerjahren und einmal in den Achtzigern, hatten die Studenten verhindern können, dass die Eiche gefällt wurde. Nun stand sie bereits im vollen Laub und zeichnete sich dunkel gegen den Vollmond ab. Unter den mächtigen Ästen ging Elenor auf den Stamm zu und legte ihre Arme darum.
„Kann man die Motte für die Folgen verantwortlich machen, wenn das Licht zur Motte kommt?“, hörte sie eine Stimme direkt vor sich fragen. Einen Augenblick verstand Elenor überhaupt nichts. Dann wurde ihr klar, dass sie nicht nur den Stamm der alten Eiche, sondern auch Karim Durran in den Armen hielt. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück, aber es war bereits zu spät. Karim hielt sie fest umklammert.
Trotz ihres Widerstrebens zog Karim Elenor enger an sich, bis ihre Oberkörper fest gegeneinandergedrückt waren.
„Was soll das?“, fragte Elenor. Vor Schreck fühlte sie sich ganz schwach.
Nun sah sie sein vom Mondlicht erhelltes Gesicht. „Ich habe geschworen zu warten, bis du zu mir kommst“, erwiderte er sanft.
„Wovon redest du eigentlich? Ich bin nicht zu dir gekommen! Ich wusste überhaupt nicht, wo du bist!“
„Doch, das wusstest du“, widersprach er, „das wusstest du sehr wohl. Ich habe dich gerufen, und du bist gekommen.“ Während seine eine Hand auf ihrem Rücken lag, hielt er mit der anderen ihren Hinterkopf. Dann beugte er sich vor, um sie zu küssen.
7. KAPITEL
Als Karims Lippen ihre berührten, sehnte Elenor sich plötzlich nach ihm – nach seinem Mund, seinem Atem, seinem Geruch, seiner Berührung und seiner Begierde. Sie schmiegte sich eng an ihn und gab sich ganz dem fordernden Kuss hin. Sie fühlte sich, als wäre sie nicht mehr sie selbst – oder mehr sie selbst denn je, so, wie sie sich nie zu sein getraut hatte. Die widersprüchlichen Empfindungen verwirrten sie. Abwechselnd liefen heiße und kalte Schauer durch ihren Körper, und auch die Berührung seiner großen, schlanken Hände fühlte sich einmal warm, dann wieder kühl an. Taub durch das Rauschen ihres Bluts, konnte sie Karims Worte nicht hören. Dennoch wusste sie, was er ihr zuraunte – in seiner eigenen Sprache, der schönsten, poetischsten und zauberhaftesten aller Sprachen.
Seufzend schmiegte sie sich an ihn. Obwohl sie nicht ganz bei sich war, wusste sie, dass sie im Gras unter der großen Eiche lagen. Deren schwarze, beschützende Äste mussten irgendwo über ihr sein. Doch Elenor war von einem gleißenden Licht erfüllt und konnte die Äste nicht sehen.
Karim versuchte nicht, sich körperlich mit ihr zu vereinigen. Und sie kannte den Grund dafür. In diesem Moment der Erleuchtung wollten sie keinen Sex. Jetzt vereinigten sich ihre Seelen. Offenbar spürte er, dass dies für sie zuerst kommen musste. Aber vielleicht wollte auch er es so.
Sanft hielt er ihren Kopf und küsste sie. Erklärte ihr, was seine Liebe zu ihr bedeutete. Er sprach leidenschaftlich, und was er sagte, hätte auf Englisch vielleicht lächerlich geklungen. Auf Parvanisch jedoch nicht. In der Sprache, in der es seit Langem hieß, der König müsse ein Poet sein, und wenn er es nicht wäre, so müsse ein Poet König werden, klang es alles andere als lächerlich.
Verzaubert lag sie da, den Sternenhimmel über sich, und lauschte versonnen seinen Worten. Sie antwortete sanft und stimmte ihm in allem zu. Plötzlich war alles ganz einfach.
Morgen früh würde er seinen Vater anrufen. Elenor würde ihre Prüfungen machen und danach mit ihm nach Parvan fliegen. Dort würden sie heiraten. „Bei der Pforte meines Vaters“, so formulierte es Karim. Dieser Ausdruck war Elenor trotz ihres umfangreichen Wortschatzes nicht geläufig.
Anschließend würden sie nach England zurückkehren, um ihr Studium und seine Doktorarbeit zu beenden. Danach könnte sie in seiner Heimat arbeiten. Sie könnte unterrichten, als Diplomatin arbeiten oder in den Handel gehen, was immer sie wollte.
Zwei Tage später dämmerte ihr, was er
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