Die Braut des Wuestenprinzen
stammelte sie nur: „Ich wollte gerade gehen.“ Dann standen beide weiter reglos da. Elenor wusste, dass dies der Moment war, auf den sie so lange gewartet hatte. Die Gelegenheit, ihn endlich zur Rede zu stellen. Aber sie wagte nicht zu sprechen. Sämtliche Worte, die sie sich zurechtgelegt hatte, fielen ihr nicht mehr ein.
„Warum gehst du mir aus dem Weg?“, fragte er schließlich.
„Ich gehe dir nicht aus dem Weg. Ich kenne dich kaum.“ Wie trocken ihr Mund auf einmal war! Elenor befeuchtete sich die Lippen.
„Du würdest mich besser kennen, wenn du mir nicht immer aus dem Weg gehen würdest“, erwiderte Karim.
„Warum verfolgst du mich?“, konterte sie. Beide hatten sich nicht von der Stelle gerührt. Trotz der Entfernung zwischen ihnen meinte Elenor, seinen Herzschlag hören zu können. Ihre Hände waren vor Nervosität eiskalt. Sie nahm an, dass seine Hände warm waren. Dass sie sich verbrennen würde, falls sie ihn berührte.
Lachend warf er den Kopf zurück. „Was soll ich dir darauf antworten?“ Er sah sie ruhig an. „Warum ich dich verfolge? Warum läuft der Bock der Ricke hinterher? Warum singt die Nachtigall für die Rose? Warum fliegen die Motten ins Licht?“
Ihr stockte der Atem. Alles, was sie tun konnte, war, ihn anzustarren. Es war schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatte. Offenbar wollte er sie nicht einfach nur ärgern, sondern interessierte sich wirklich für sie. Ganz benommen vor Schreck, wusste sie nicht, was sie denken sollte.
Jetzt kam er langsam auf sie zu, während sie wie angewurzelt stehen blieb. Was sollte sie nur tun? Es gab nichts, was sie zwischen sich und ihn hätte stellen können. Das Buch hatte sie zurück ins Regal gelegt. Ein Schauer nach dem anderen überlief sie, während sie mit dem Rücken gegen das Bücherregal gepresst dastand.
„Warum?“, brachte sie hilflos hervor.
Nun stand er ganz dicht bei ihr. „Der Bock folgt der Ricke wegen ihrer Anmut“, erklärte er. „Die Nachtigall verlangt es nach der Schönheit und dem Duft der Rose. Die Motten …“ Er streckte die Hand aus und nahm eine Haarsträhne von ihrer Schulter. „Die Motten sterben, weil sie sich mit dem Licht vereinigen wollen.“ Und leiser sagte er: „Dein Haar ist wie das Licht.“
Sein Blick hielt den ihren fest. Die grünen Augen hypnotisierten sie. Er hob die Strähne an seine Lippen und küsste das blonde Haar.
„Mein Licht.“
Das Herz klopfte Elenor zum Zerspringen. Sie konnte den Kuss im ganzen Körper spüren und meinte zu wissen, wie seine Lippen sich auf ihrer Haut anfühlen würden.
Unwillkürlich hob sich ihre Hand, um ihm die Strähne zu entziehen. Als die Haare über seine Handfläche glitten, versuchte er zuerst, sie festzuhalten, entschied sich dann aber dagegen.
Stell ihn zur Rede, befahl Elenor sich. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen.
„Lass mich in Ruhe“, befahl sie mit heiserer Stimme. „Ich will nicht, dass du mich weiterhin verfolgst.“
Noch immer sah er sie an und tat, als verstünde er nicht. „Du hast lange gearbeitet. Lass uns etwas essen gehen. Du bist sicher ziemlich hungrig.“
Genau in diesem Moment ertönte der Gong. In fünf Minuten würde die Bibliothek schließen. Elenor kam es fast so vor, als ob selbst das auf sein geheimes Kommando hin geschah.
Sie drückte sich seitlich an ihm vorbei und ging zu dem Tisch, an dem sie gearbeitet hatte. In sicherer Entfernung, ihm den Rücken zuwendend, erwiderte sie: „Nein, danke.
Zu Hause wartet das Abendessen auf mich.“
Das war zwar gelogen, aber was blieb ihr anderes übrig?
„Es ist ganz normal, dass du Angst hast“, hörte sie ihn mit ruhiger Stimme hinter sich antworten. „Am Anfang hat es mich auch erschreckt. Sobald du das Unvermeidliche akzeptierst, wird es dir besser gehen.“
Sie hätte widersprechen müssen. Hätte etwas sagen sollen wie: „Zwischen uns gibt es nichts Unvermeidliches. Lass mich in Ruhe.“ Doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Noch immer stand sie mit dem Rücken zu ihm, den Blick auf den Tisch vor sich gerichtet. Als sie es endlich wagte, den Kopf zu heben, sah sie in der spiegelnden Fensterscheibe, dass sie allein war. Wie eine Raubkatze hatte er sich davongeschlichen. Und das letzte Wort behalten.
Sobald du das Unvermeidliche akzeptierst. Der Satz klang Elenor noch in den Ohren, als sie nach ihrer Tasche griff und die Bibliothek verließ.
Insgeheim hatte sie erwartet, dass er vor dem Eingang oder an der Bushaltestelle auf sie lauerte, aber
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