Die Braut des Wuestenprinzen
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Später erfuhr sie, dass Karim sich Sorgen wegen des drohenden Kriegs gemacht hatte. In Gedanken war er bei seinem Vater gewesen, der versucht hatte, die internationale Gemeinschaft dazu zu bewegen, den Krieg zu verhindern. Aber bis heute verstand sie nicht, warum er ihr das nicht gesagt hatte.
Als sie schließlich im Flugzeug von Heathrow nach Samarkand saßen, war sie voller Hoffnung. Endlich war sie mit ihm allein, endlich würden sie sich besser kennenlernen.
Doch seine zwei Gefährten Arash und Jamshid saßen direkt hinter ihnen. Darum konnte Elenor sich nicht entspannen, obwohl Karim nun tatsächlich viel aufmerksamer war. Als er ihre Hand nahm, zuckte sie nervös zurück – als hätte er versucht, sie auf einem öffentlichen Platz zu küssen.
Der Flug war lang und ermüdend. Elenor hasste das Fliegen. Keine Minute war man allein. Ständig gab es irgendetwas, das die Aufmerksamkeit auf sich lenkte: Getränke, Snacks, Ankündigungen vom Piloten, Filme, Musik und die Landkarte mit der Position des Fliegers. Was alles noch schlimmer machte, war die Mischung all dieser Reize mit Karims Anwesenheit. Sein Lächeln, seine Worte, sein Blick machten sie nervös. Und die Angst, einen großen, folgenschweren Fehler gemacht zu haben, nagte unablässig an ihr.
In Samarkand bestiegen sie ein kleines, burgunderrotweiß gestrichenes Flugzeug mit der Aufschrift Royal Air Parvan .Es flog tief über eineWüste und das Vorland eines Gebirges. Karim beugte sich vor, um auf den großen Berg Shir zu zeigen, und zitierte eine alten Redensart seines Volks: „Shir gehört uns, und wir gehören Shir“. Elenor nahm den Spruch und auch den Berg teils als Bedrohung, teils als Verheißung wahr.
Beim Landeanflug auf eine im Tal gelegene Stadt zeigte Karim auf ein etwas erhöht am Berghang gelegenes Gebäude mit zahlreichen Türmen.
„Der Palast meines Vaters“, sagte er.
Elenor sah nach unten. Palast? Hier würde sie leben? Palast? Das Gebäude erinnerte eher an eine mittelalterliche Festung. Es sah aus wie der Tower of London, wie ein altertümliches Gefängnis! Plötzlich wich ihre aufgeregte Vorfreude einer schrecklichen Vorahnung.
„Er … es sieht so alt aus …“, flüsterte sie.
„Mhm“, pflichtete Karim ihr bei. „Er wurde auf dem Fundament eines Sassanidischen Palasts errichtet, der im vierten Jahrhundert erbaut und später von Dschingis Khan zerstört wurde. Teilweise verwendete man beim Bau die alten Steine. Aber wahrscheinlich reicht die Geschichte des Standorts noch weiter zurück …“, fügte er stolz hinzu.
„Hier kann ich nicht leben“, rief sie voller Angst.
„Wie bitte?“, fragte Karim stirnrunzelnd, als hätte er sich verhört.
„Ich … können wir nicht woanders wohnen?“
Es war das erste Mal, dass Karim sie missbilligend ansah. „Erwartest du von mir, dass ich uns eine Wohnung in der Stadt suche? Ich bin Kronprinz, und mein Vater ist alt. Ich muss in seiner Nähe sein. Gerade jetzt.“
Vielleicht hätte sie fragen sollen: Was meist du mit gerade jetzt?, und wenn er sich ihr anvertraut hätte, wäre alles anders gekommen. Aber sie sagte nichts und drehte sich zum Fenster.
Bei der Landung realisierte Elenor, dass hier alle auf die Rückkehr von Karim Durran, dem Thronfolger, gewartet hatten. Nicht dass man sich vor ihm auf die Knie geworfen hätte, aber sie las Ehrfurcht, Dankbarkeit und sogar Erleichterung in den Gesichtern all derer, die ihn erblickten.
Langsam fügte Elenor die Puzzleteile zu einem Ganzen zusammen. Ihr fielen Dinge wieder ein, die Karim gesagt hatte, denen sie aber keine Bedeutung beigemessen hatte … Endlich fragte sie sich, was mit der Krise im Palast des Vaters gemeint sein könnte. War er etwa krank oder lag sogar im Sterben? Zum ersten Mal wurde ihr klar, was es bedeutete, einen Mann zu heiraten, der König werden würde – und zwar bald.
Ein alter Rolls-Royce erwartete sie. Durch altertümlich wirkende Basare und moderne Wohnviertel, vorbei an der atemberaubenden, glitzernden Kuppel der Hauptmoschee führte ihr Weg stadtauswärts. Nach einer kurvigen Steilstraße passierten sie ein Tor in einer uralt aussehenden Mauer und gelangten in einen Bereich mit Häusern, kleinen Gassen, Menschen und Tieren. Kurz, hier gab es ein kleines Dorf am Fuße des Palasts.
Nie zuvor hatte Elenor etwas Derartiges gesehen, obwohl ihr in ihrem Leben schon einiges Ungewöhnliches und Altertümliches begegnet war.
Trotz all der Fremdheit dieses Orts kam er ihr auf sonderbare Art
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