Die Braut des Wuestenprinzen
mit „bei der Pforte meines Vaters“ gemeint hatte. Es handelte sich um den veralteten Ausdruck für Königshof. Sie hätte gar nicht weiter darüber nachgedacht, wenn es nicht dieses Gerücht über Karim gegeben hätte.
„Wer ist dein Vater?“, fragte sie Karim beim nächsten Treffen. Inzwischen suchte sie seine Nähe, wie die jungen Triebe einer Pflanze nach dem Licht suchten. Nachdem Elenor den Widerstand aufgegeben hatte, spürte sie die volle Wirkung seiner Anziehungskraft und verging fast vor Sehnsucht nach ihm.
„Kavad Panj ist mein Vater“, lautete die schlichte Antwort. Kavad der Fünfte. Das erklärte, warum Karim die Zustimmung seines Vaters einholen musste, um zu heiraten. Vor allen Dingen, wenn …
„Und du? Bist du …“ Elenor zögerte. Plötzlich wollte sie die Antwort gar nicht mehr hören.
Er sah sie ernst und schweigend an. Dann fasste er sie bei der Schulter. In seinem Griff lag etwas Besitzergreifendes. Als hätte er Angst, sie durch seine Antwort für immer zu verlieren.
„Ich bin derThronfolger“, erklärte er. „EinesTages wirst du die Königin meines Volkes sein.“ Er sagte nicht „wenn du mich heiratest“, aber der raue Ton in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er war sich ihrer nicht sicher.
Elenor wusste, dass sie vor einer folgenschweren Wahl stand. Noch konnte sie sich anders entscheiden, und niemand würde ihr Vorwürfe machen. Selbst Karim würde sie nicht verurteilen, falls sie einen Rückzieher machte, das sah sie an seinem Blick. Ruhig wartete er auf ihre Entscheidung, von der ihrer beider Zukunft abhing.
„Oh, Kavi! Meinst du, ich bin stark genug?“, flüsterte Elenor schließlich, und er seufzte erleichtert.
„Du bist sehr stark“, antwortete er. „Du weißt es nur nicht, weil du noch nie bis an deine Grenzen gegangen bist.“
„Meinst du nicht, dass dein Volk und dein Vater von dir erwarten, dass du eine parvanische Frau heiratest?“
„Mein Vater und mein Volk erwarten von mir, dass ich eine Frau heirate, die ihrer würdig ist. Und genau das habe ich vor.“
Danach schien alles ganz einfach. Fast, als wäre ihr gesamtes Leben die Vorbereitung darauf gewesen, einmal die Königin von Parvan zu werden. Elenor kannte die Region um Parvan. Sie kannte die Sprache, die Kultur und die Geschichte Parvans. Und sie liebte den Mittleren Osten. Dort hatte sie mehrere Jahre gelebt, dort fühlte sie sich zu Hause.
Karims Vater willigte in die Hochzeit ein und hoffte, die Braut seines Sohns so bald wie möglich persönlich kennenzulernen.
Elenors Studium erforderte es, dass sie das zweite Studienjahr an der Universität von Shahriallah in Kaljukistan verbrachte. Nur Lana wusste, dass Elenor nicht so früh abreiste, um sich vor dem Semester noch ein wenig vertrauter mit der kaljukischen Sprache zu machen. Genau wie nur Lana wusste, dass Elenor direkt nach Parvan fliegen und dort umgehend heiraten würde. Auch dass Karim und Elenor ein Paar waren, wusste nur Lana. Ohne dass es je zur Sprache gekommen wäre, hatten Elenor und Karim eine stumme Übereinkunft getroffen: Je weniger Leute von ihrer Liebe wussten, desto besser. Die wenige Zeit, die sie füreinander hatten, verbrachten sie außerhalb der Universität.
Vielleicht steckte mehr dahinter als nur die gebotene Vorsicht. Hatte sie Angst vor den Reaktionen der anderen? Davor, dass man sie warnte und dazu brachte, die Dinge nüchterner zu betrachten? Falls sie am Boden zerstört nach England zurückkommen würde, wüsste so keiner von ihrem Unglück.
Vielleicht hatte sie schon damals gespürt, welche Schmerzen ihr in Zukunft drohten.
Selbst ihrer Mutter erzählte Elenor zunächst nichts von Karim. Schon immer hatte sie die Offenheit bewundert, mit der manche Menschen – wie Lana zum Beispiel – mit ihren Eltern umgingen. Elenor fragte sich, wie sie ihren Eltern beibringen sollte, dass sie im Begriff war, den Kronprinzen von Parvan zu heiraten.
In ihrer Not fragte sie Lana um Rat.
„Sag ihnen, dass du ihn liebst und dass du den Sprung wagst!“, antwortete die Freundin heiter. „Das werden sie schon verstehen.“
„Ja, gut, aber … wie soll ich ihnen sagen, wer er ist?“
„Willst du mir damit sagen, dass sie nicht wissen, mit wem du ausgehst?“
Elenor biss sich auf die Lippe. „Ehrlich gesagt, wissen sie nicht, dass ich überhaupt mit jemandem ausgehe.“
„Sie haben von nichts eine Ahnung, und jetzt musst du ihnen nicht nur erzählen, dass du verliebt bist, dass es ernst ist und dass du
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