Die Braut im Schnee
auf dem Beifahrersitz Kerstin Henschel. Eigentlich hatte Raimund Toller den Wagen fahren sollen, er hatte sich aber wegen eines Arzttermins entschuldigt. Er habe seit letzter Nacht Magenkrämpfe und wolle sich untersuchen lassen. Marthaler glaubte, dass es sich um eine Ausrede handelte. Wieder hatte er den Eindruck gehabt, dass es Unstimmigkeiten zwischen Kerstin und Toller gab, und er hatte sich vorgenommen, Kerstin in einem geeigneten Moment danach zu fragen.
Sie fuhren über die Kennedyallee stadtauswärts in Richtung Neu-Isenburg. Dort hatten sie für Stefanie Wolfram im «Hermes Hotel» ein Zimmer gemietet. Marthaler hatte dafür gesorgt, dass die Buchung unter einem erfundenen Namen erfolgt war. Als sie dort ankamen, hatte die Frau noch immer nicht gesprochen. Seitdem er ihr erzählt hatte, was geschehen war, hatte sie mit versteinerter Miene vor sich hingestarrt. Sie hatte weder eine Träne vergossen, noch hatte sie eine Frage gestellt.
Eine halbe Stunde später, nachdem Stefanie Wolfram sich in ihrem Zimmer geduscht und umgezogen hatte, saßen sie zu viert in einem kleinen Konferenzzimmer, das sich in einem Seitengang im Erdgeschoss des Hotels befand. Sie hatten sich Kaffee und ein paar Sandwichs bringen lassen und darum gebeten, nicht mehr gestört zu werden. Kerstin Henschel erstattete Bericht. Sie fasste die Ereignisse zusammen und erklärte Stefanie Wolfram, dass sie bis heute nichts über die Zahnärztin Gabriele Hasler wussten. Nichts, was die Ermittlungen vorangebracht hätte.
«Unsere einzige Hoffnung waren Sie», sagte Kerstin Henschel. «Aber Sie waren unauffindbar. Und dass man versuchthat, Sie zu töten, hat unsere Vermutung bestärkt, dass Sie etwas wissen über Ihre Freundin. Etwas, das wir nicht wissen sollen, aber dringend wissen müssen. Und ich frage mich, ob mein Eindruck stimmt, dass Sie nicht erstaunt sind über die Dinge, die ich Ihnen gerade erzählt habe. Sie haben nicht ein einziges Mal ein Zeichen der Verwunderung bekundet.»
Stefanie Wolfram nickte. Sie hatte sich eine dunkle Sonnenbrille aufgesetzt, durch deren Gläser man ihre Augen nicht sehen konnte. Endlich begann sie zu sprechen. «Sie haben Recht. Ich bin nicht erstaunt. Alles hat so kommen müssen. Solange ich Gabi kannte, habe ich befürchtet, dass ihr eines Tages etwas passieren würde. Wenn mich etwas wundert, dann höchstens, dass es so lange gut gegangen ist.»
Die Polizisten schauten einander an. «Was soll das heißen?», fragte Marthaler. «Was haben Sie kommen sehen? Was hat ihr passieren müssen?»
«Etwas Schreckliches. Etwas in der Art, das jetzt geschehen ist. Sie hat einfach zu gefährlich gelebt.»
«Sie hat was?», fragte Kai Döring. «Eine Zahnärztin, die zurückgezogen in einem Haus am Stadtrand wohnte, die kaum Kontakte hatte, die verlobt war mit einem biederen Sanitärtechniker, den sie alle paar Wochen gesehen hat. Was ist an einem solchen Leben gefährlich? Ich fürchte, das müssen Sie uns erklären.»
«Ja. Mir scheint, dass Sie wirklich nicht viel über Gabi wissen. Sie hatte Kontakte. Sehr viele sogar. Wesentlich mehr, als ihr gut tat. Trotzdem war sie sehr einsam. Sie hatte sich längst von ihren alten Freundinnen zurückgezogen. Außer mir gab es, soweit ich weiß, niemanden mehr. Und auch wir haben uns immer seltener gesehen. Eigentlich kam sie nur noch alle paar Monate, um mir die Miete zu bringen. Meist saßen wir dann eine Weile verlegen zusammen, bis sie wieder gegangen ist.»
«Die Miete?», fragte Marthaler. «Für was hat sie Ihnen Miete gezahlt?»
«Sie hat noch immer die kleine Wohnung genutzt, in der wir als Studentinnen gewohnt haben. Ich habe darauf bestanden, dass sie mir die Miete persönlich vorbeibringt, damit wir uns wenigstens gelegentlich nochmal sehen.»
«Aber für was, verdammt? Was wollte sie mit einer Studentenwohnung? Sie hatte ein großes Haus von ihren Eltern geerbt, das sie kaum unterhalten konnte.»
Stefanie Wolfram sah Marthaler kopfschüttelnd an. «Sie wissen es wirklich nicht? Gabriele Hasler hat dort Männer empfangen. Wie sie es schon während des Studiums getan hat. Sie hat sich verkauft. Solange ich sie kenne, war sie in Geldschwierigkeiten. Ich habe nie herausbekommen, was sie mit all dem Geld gemacht hat. Ich vermute, sie hat gespielt, aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Sie hat annonciert und ist für Geld mit Männern ins Bett gegangen. Sie hat lange versucht, es vor mir zu verheimlichen. Eine Zeit lang hat sie es abgestritten. Aber
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