Die Braut im Schnee
diese Sache hatte.»
«Je nach Bedarf – wenn ich es richtig sehe. Wenn sie Geld brauchte, hat sie Termine gemacht. Mal hat sie drei Freier an einem Tag abgefertigt, dann gab es wieder eine Woche Pause. Am meisten hat sie wohl während der Semesterferien gearbeitet. Sie nannte es wirklich so, sie nannte es ‹meine Arbeit›.»
«Was war mit den Studenten?», fragte Marthaler. «Hat es dort einen Verehrer gegeben, den sie vielleicht loswerden wollte, der sich aber als besonders hartnäckig erwiesen hat? Hat sie einen Freund gehabt?»
Wieder bemerkte Marthaler in Stefanie Wolframs Miene eine Bewegung, und wieder schien sie nicht darüber sprechen zu wollen, was ihr gerade eingefallen war. Stattdessen wich sie aus.
«Ganz am Anfang des Studiums hat es einen Jungen gegeben, der sich in sie verguckt hatte. Micha, ein netter, harmloser Knabe. Sie hat sich ein paarmal von ihm zum Essen ausführen lassen, mehr wollte sie wohl nicht. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt jemals ernsthaft verliebt war. Jedenfalls nicht in der Zeit, als ich sie kannte. Micha hat ihr eine Zeit lang nachgestellt, dann hat er es aufgegeben. Zu mir hat er aber weiter den Kontakt gehalten. Er hat später eine sympathische kleine Amerikanerin geheiratet, ist mit ihr in die USA gezogen und hat inzwischen vier Kinder. Er schickt mir jedes Jahr zu Weihnachten einen Brief mit den neuesten Fotos seiner Familie.»
«Da ist noch etwas», sagte Marthaler.
«Was meinen Sie?», fragte Stefanie Wolfram.
«Etwas, das Ihnen schon zweimal durch den Kopf gegangen ist, über das Sie aber nicht sprechen wollen.»
Langsam nickte sie. «Ja, Sie haben Recht. Ich habe an etwas gedacht, aber es ist wahrscheinlich Unsinn.»
«Ich muss Sie bitten, es trotzdem zu sagen. Solange wirspekulieren müssen, kann jede Information wichtig sein. Auch wenn sie sich später als Unsinn erweist.»
«Es gab jemanden, den ich zweimal in unserer Wohnung angetroffen habe. Jemanden, den ich kannte und dem das offensichtlich peinlich war. Und es war nicht nur ihm, sondern es war auch Gabi peinlich.»
«Sagen Sie uns bitte, um wen es sich handelt.»
«Es war einer unserer Professoren. Sowohl Gabi als auch er haben beide Male so getan, als sei es bei diesen Treffen um irgendwelche Studienangelegenheiten gegangen. Es war eine offensichtliche Ausrede.»
«Bei dem Mann handelte es sich um Professor Wagenknecht, nicht wahr?», sagte Marthaler.
Stefanie Wolfram sah ihn erstaunt an. «Ja. Aber woher wissen Sie das?»
Am liebsten hätte Marthaler vor Genugtuung mit der Hand auf den Tisch geschlagen. Aber er hielt mitten in der Bewegung inne. Also hatte Wagenknecht ihn tatsächlich belogen. Er erinnerte sich noch gut an die Worte, die der Professor zu ihm gesagt hatte, als er nach seinem Verhältnis zu Gabriele Hasler gefragt hatte. «Ich kannte sie, wie ein Professor seine Studentinnen eben kennt», hatte er gesagt.
«Ich war im Carolinum», sagte Marthaler jetzt, um Stefanie Wolframs Frage zu beantworten. «Ich wollte etwas über Gabriele Hasler erfahren. Mir wurde Professor Wagenknechts Name genannt. Ich habe mit ihm gesprochen. Er war es, der mir auch erzählte, dass Sie in Darmstadt wohnen. Er hat in den höchsten Tönen von Ihnen geschwärmt. Er würde Sie gerne als Mitarbeiterin gewinnen.»
«Ich weiß», sagte Stefanie Wolfram. «Aber ich mag ihn nicht.»
«Gut. Erzählen Sie uns über seine Beziehung zu Gabriele Hasler?»
«Da gibt es nichts zu erzählen. Ich bin mir sicher, dass die beiden ein Verhältnis hatten. Ob er sie bezahlt hat, weiß ich nicht, aber ich nehme es an. Sonst hätte Gabi sich sicher nicht mit ihm eingelassen.»
«Wie lange ging das?»
«Keine Ahnung. Die beiden Male, dass ich sie in unserer Wohnung überrascht habe, lagen vielleicht ein halbes Jahr auseinander. Später hat der Herr Professor jedenfalls versucht, mit mir anzubändeln.»
«Und?»
«Nichts und. Er ist nicht mein Fall. Er wirkt auf mich undurchschaubar. Jedenfalls liebt er es, sich mit dieser Aura zu umgeben. Er gehört zum Typus des zynischen Naturwissenschaftlers. Ein Typus, der ziemlich verbreitet ist und den ich noch immer nicht mag.»
«Können Sie mir sonst etwas über ihn sagen?»
«Seit dreißig Jahren verheiratet. Zwei erwachsene Kinder. Wohnt im Holzhausenviertel in einer wunderschönen Villa, wo Gabi und ich ein paarmal an irgendwelchen Gartenfesten teilnehmen durften.»
Marthaler nickte. Ihm war klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er hatte zwar im Sekretariat von
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