Die Braut im Schnee
nach halb eins würden sie in ausreichender Besetzung am Gleis stehen und auf Stefanie Wolfram warten. Dann telefonierte er ein weiteres Mal mit Heinrich Wolfram und bat ihn, sich gemeinsam mit seiner Frau um dieselbe Zeit dort einzufinden.
Robert Marthaler ging in den Keller des Weißen Hauses zu Sabato und seinen beiden Mitarbeitern. Der Kater AntonPavlovich kam dem Hauptkommissar mit hochgestelltem Schwanz über den Gang entgegen und rieb sich an dessen Bein. Marthaler schnupperte. Hier, wo es meist nach Chemikalien roch, kam ihm der Duft von Kaffee und frischem Gebäck entgegen. Er klopfte an die Tür des Labors, bekam aber keine Antwort. Als sich auch beim zweiten Mal niemand meldete, drückte er die Klinke und trat einfach ein. Im selben Moment fuhr Sabato wie vom Blitz getroffen auf seinem Drehstuhl herum und fauchte Marthaler an: «Bist du verrückt geworden? Willst du mich umbringen? Wie kannst du mich nur so erschrecken?»
Erst jetzt sah Marthaler, dass Sabato einen kleinen Kopfhörer trug. In der rechten Hand hielt er einen Porzellanbecher mit heißem Kaffee, von dem er jetzt allerdings die Hälfte verschüttet hatte.
«Und was hörst du da, wenn man fragen darf?»
Sabato schien sich bereits wieder gefangen zu haben. Er grinste seinen Kollegen an. «Das, was ich immer höre», sagte er, «Kampflieder der spanischen Arbeiterbewegung, was denn sonst?»
Marthaler sah ihn entgeistert an. «Das ist nicht dein Ernst, du hörst nicht schon beim Frühstück Propagandamusik?»
Sabato brach in ein dröhnendes Lachen aus. «Klasse», sagte er. «Wahrscheinlich bin ich nur deshalb mit dir befreundet, weil du auf alles reinfällst. So dumm kann ein Spruch überhaupt nicht sein, dass du ihn nicht ernst nehmen würdest. Ich glaube, du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der noch nie gemerkt hat, wenn ich einen Witz gemacht habe.»
Marthaler nickte. Immerhin war ihm aufgefallen, dass das, was Sabato gerade gesagt hatte, keinesfalls als Kompliment gemeint war.
«Nein, ich höre keine spanischen Kampflieder, sonderndeutsche Naturgedichte. Eine Sammlung mit Naturgedichten vom Barock bis heute.»
Marthaler, der sich nicht schon wieder eine Blöße geben wollte, beschloss, dem Kriminaltechniker diese Information lieber nicht zu glauben. «Was auch immer du während deiner Frühstückspausen hörst, ich muss mit dir über den Fall reden.»
Sabato steckte sich den letzten Zipfel seines Butterhörnchens in den Mund, trank einen Schluck des restlichen Milchkaffees und forderte Marthaler mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen.
«Wenn du mich nach der Auswertung der Spuren fragen willst», sagte er, bevor er noch aufgekaut hatte, «so muss ich dich enttäuschen.»
«Nein», sagte Marthaler, «darum geht es nicht. Ehrlich gesagt glaube ich, dass unser Täter auch diesmal schlau genug war, nichts Verwertbares zu hinterlassen. Wir brauchen die Hilfe eines Psychologen. Und ich will keinen von unseren Leuten, keinen, der den Fall sofort kriminalistisch angeht. Ich will einen Fachmann, der mir sagen kann, was in diesem Täter vorgeht. Mir graut davor, was ich erfahren werde, aber ich glaube, es ist nötig.»
Sabato sah ihn erstaunt an. «Wie kann ich dir dabei helfen?», fragte er. «Ich bin Chemiker und Biologe, von den Windungen der menschlichen Seele verstehe ich so viel wie du. Nein, stopp, ein bisschen mehr vielleicht schon.»
Marthaler ignorierte die letzte Bemerkung. «Ich weiß, dass ihr damals, als Manon zu euch kam, mit einigen Therapeuten Kontakt hattet», sagte er. «Vielleicht kann mir einer von ihnen einen Namen nennen. Ich will den besten!»
Sabato nickte. «Ich verstehe. Gib mir eine halbe Stunde. Ich werde mit Elena telefonieren. Wir werden den richtigen Mann für dich finden.»
Elvira schaute auf, als Marthaler das Vorzimmer seines Büros betrat. «Wunder dich nicht», sagte sie. «Du hast bereits Besuch.»
Er öffnete die Tür und sah sich um. Toller und Petersen saßen auf den Stühlen vor seinem Schreibtisch. Dann bemerkte er ein Mädchen, das am Fenster stand und unverwandt hinausschaute. Zu seinen Füßen stand ein Schulranzen. Alle drei schwiegen.
«Was ist los?», fragte Marthaler.
«Das ist sie», sagte Petersen. «Das Mädchen, dem der Hund namens Flocky gehört. Das Mädchen, das bei uns angerufen hat. Wir sind zu der Telefonzelle nach Niederrad gefahren. Es war alles, wie wir vermutet haben. Direkt nebenan befindet sich ein Kiosk. Wir haben den Besitzer befragt. Er wusste sofort,
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