Die Braut im Schnee
haben. Wir sind darauf angewiesen, dass er mit uns zusammenarbeitet. Und sag ihm, dass er ebenso auf uns angewiesen ist. Wenn ihn jemand beschützen kann, dann sind wir es.»
Mara nickte. Dann drehte sie sich weg. Sie wollte wohl nicht, dass Marthaler ihre Tränen sah.
«Sag ihm, dass er verhindern kann, dass noch mehr geschieht. Es darf nicht noch eine Frau ermordet werden. Es liegt auch an ihm.»
Mara schluchzte. Aber sie nickte jetzt auch. «Niemand darf mir folgen», sagte sie. «Kein Polizist darf versuchen, hinter mir herzufahren.»
«Hier», sagte Marthaler und reichte ihr seine Visitenkarte. «Du hast mein Ehrenwort. Niemand wird dir folgen. Ich warte darauf, dass dein Freund sich bei mir meldet. Er soll sich nicht zu viel Zeit lassen.»
SECHS
Der Zug lief mit wenigen Minuten Verspätung im Frankfurter Hauptbahnhof ein. Marthaler und seine Leute hielten sich im Hintergrund. Es war wenig wahrscheinlich, dass jemand von der Ankunft Stefanie Wolframs erfahren hatte, trotzdem mussten sie wachsam sein. Jetzt müssen wir wohl zwei Zeugen beschützen, dachte er. Diese Frau und den Jungen, dessen Nachnamen wir noch immer nicht wissen. Zwei Zeugen, von denen wir noch nicht einmal eine Aussage haben.
Stefanie Wolfram war braun gebrannt. Sie hatte langes, mittelblondes Haar. Marthaler hatte sie sich kleiner vorgestellt, und er fand, dass sie jünger aussah als auf den Fotos, die ihm ihre Eltern gezeigt hatten. Es schien, als habe ihr der Urlaub vom Leben gut getan. Außer einem großen Rucksack hatte sie kein Gepäck. Sie wirkte ein wenig verlegen, als sie jetzt nacheinander ihren Vater und ihre Mutter umarmte. Sie lachte, und dennoch meinte er, in ihrem Gesichtsausdruck eine kleine Verunsicherung zu erkennen, so, als habe sie bereits gemerkt, dass die Eltern nicht ganz so unbeschwert waren, wie sie hätten sein sollen, wenn sie ihre Tochter nach dieser langen Zeit wieder begrüßen durften.
Einen Moment lang plauderten die drei miteinander, dann drehte sich Heinrich Wolfram zu Marthaler um und nickte ihm zu. Stefanie folgte dem Blick ihres Vaters und sah den Fremden misstrauisch an. Zögernd ergriff sie die ausgestreckte Hand, als er sie begrüßte und sich vorstellte.
«Sie haben nichts zu befürchten», sagte er und merkte im selben Augenblick, wie dumm dieser Satz war, wie wenig erder Wahrheit entsprach und wie wenig Glauben sie ihm schon jetzt schenkte. Sie hatte etwas zu befürchten. Aus welchem anderen Grund hätte er sonst hier sein sollen. «Ich muss Sie bitten, mit mir zu kommen. Sie können nicht in Ihr Haus in Darmstadt zurück. Jedenfalls vorläufig nicht. Dort ist etwas geschehen. Wir bringen Sie an einen sicheren Ort.»
Die junge Frau sah ratlos zwischen ihren Eltern und Marthaler hin und her. Er kam sich vor wie ein Idiot. Die Sätze, die er gerade gesagt hatte, waren ein Ausdruck seiner Hilflosigkeit. Er hatte keine Ahnung, wie man einer Frau, die von einer langen Reise nach Hause kam, erklärte, dass ihre Freundin ermordet worden war und dass man – höchstwahrscheinlich bei dem Versuch, sie selbst ebenfalls umzubringen – ihre Untermieterin erschossen hatte. Seine Worte mussten ihr völlig unsinnig vorkommen, und so wunderte er sich nicht, als Stefanie Wolfram jetzt in Gelächter ausbrach.
«Entschuldigung», sagte sie schließlich. «Entschuldigt bitte, aber ich bin wohl wirklich zu lange weg gewesen. Ich verstehe gar nichts von dem, was hier vorgeht. Wollt ihr mich auf den Arm nehmen, oder wollt ihr mir endlich in einfachen Worten erklären, was passiert ist.»
Marthaler sah, dass er keine Wahl hatte. «Gabriele Hasler ist tot. Sie wurde gequält und erdrosselt. Die Mieterin in Ihrem Haus ist ebenfalls einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Alles andere erzähle ich Ihnen, wenn wir in dem Hotel sind, in dem wir ein Zimmer für Sie reserviert haben.»
Sie schoben sich durch das Gedränge der Reisenden und verließen den Bahnhof über den Ausgang Süd. Niemand außer Marthaler bemerkte die Polizisten in Zivil, von denen sie unauffällig begleitet wurden. Stefanie Wolframs Eltern hatten ihren Wagen auf dem großen Parkplatz an der Mannheimer Straße abgestellt. Im Kofferraum befand sich eine Reisetasche mit frischer Wäsche, die sie für ihre Tochter gepackt hatten.Sie tauschten die Tasche gegen ihren Rucksack aus. Beide weinten, als sie sich von Stefanie verabschiedeten.
Marthaler hatte neben der jungen Frau auf der Rückbank des Daimler Platz genommen. Am Steuer saß Kai Döring und
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