Die Braut im Schnee
mit an.»
Marthaler blieb ruhig: «Nein, Chef», sagte er, «ich werde etwas ganz anderes tun.» Weiter sprach er nicht. Ohne Herrmanns Reaktion abzuwarten, machte er kehrt und stapfte über den nassen Gang, wo seine Sekretärin noch immer versuchte, wenigstens einen Teil der Überschwemmung zu beseitigen.
«Lass das, bitte, Elvira. Das ist nicht unsere Aufgabe. Trommel die anderen zusammen und sag ihnen, dass wir uns um 19 Uhr in meiner Wohnung treffen.»
Er ging in sein Büro und begann, eine Nachricht an Tereza in sein Mobiltelefon zu tippen. Er suchte lange nach der richtigen Formulierung. Immer wieder setzte er neu an. Er wollte alles richtig machen und hatte Angst, durch ein falsches Wort seinen Fehler zu verschlimmern. Jetzt merkte er, dass er nie versucht hatte, sich über ihr Verhältnis klar zu werden. Sie hatten sich kennen gelernt, Tereza war bei ihm ein- und kurz darauf wieder ausgezogen, um nach Madrid zu gehen. Es war schön gewesen, und es hatte keine Notwendigkeit gegeben zu reden. Einmal, als sie morgens nebeneinander aufgewacht waren, hatte er sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, es länger mit ihm auszuhalten. Sie hatte ihren Zeigefinger auf seine Lippen gelegt und ihn lange angesehen. «Lass uns schauen,was das Leben macht», hatte sie gesagt. «Das Leben macht es gut.»
Damals hatte er ihr Recht gegeben. Aber jetzt, da er nach den richtigen Worten suchte und Angst hatte, sie zu verlieren, fand er diese Worte nicht. Er klappte sein Handy zu, ohne eine Nachricht abgeschickt zu haben. Er begriff, dass sie endlich miteinander sprechen mussten. Der Mord an der Zahnärztin würde ihm eigentlich keine Zeit lassen, seine privaten Dinge zu regeln. Trotzdem war er entschlossen, Tereza zu finden.
Er wollte gerade sein Büro verlassen, als Hans-Jürgen Herrmann im Türrahmen erschien. Marthaler machte sich darauf gefasst, dass sein Chef einen neuerlichen Versuch starten würde, ihn als Putzmann einzusetzen. Er hob abwehrend die Hände: «Vergessen Sie es, Chef, die Sache in Oberrad hat Vorrang …»
«Schon gut, schon gut», erwiderte Herrmann, «wenn Sie mich doch einmal ausreden lassen würden. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass Sie heute noch Ihr Büro räumen können.»
Marthaler schaute ihn verdutzt an. Plötzlich lachte Herrmann: «Nein, nicht, was Sie denken … Ihre Abteilung zieht um. Ich habe mit einem Freund im Liegenschaftsamt gesprochen. Es gibt ein altes Bürgerhaus in der Günthersburgallee, in dem zwei geräumige Wohnungen leer stehen. Ich habe noch für heute Abend einen Möbelwagen bestellt. Und drei unserer Techniker werden eine Nachtschicht einlegen, um die Computer und Telefone zu installieren. Sie können schon morgen Vormittag mit Ihren Leuten dort einziehen. Sie werden sich für einige Zeit auf ein Provisorium einstellen müssen. Aber Hauptsache, es ist ein trockenes Provisorium.»
Es gelang Marthaler nicht, seine Verwunderung zu verbergen. Sowenig er von Hans-Jürgen Herrmanns Qualitäten als Kriminalpolizist hielt, so sehr erstaunte ihn nun dessenOrganisationstalent. Fast fühlte er sich ein wenig beschämt. Er begriff, dass sein Vorgesetzter Fähigkeiten hatte, die ihm selbst fehlten und die in dieser Situation hilfreicher waren als die Fertigkeiten eines guten Ermittlers. Trotzdem ärgerte er sich noch im selben Moment über den Chef: Die selbstgefällige Geste, mit der dieser seine Brille zurechtrückte, das generöse Lächeln, das jetzt um seine Lippen spielte, zeigten deutlich, wie sehr er seinen Triumph genoss. Nein, dachte Marthaler, ich werde dir jetzt nicht den Gefallen tun, mich zu bedanken.
«Und was wird mit Ihnen?», fragte er stattdessen.
Herrmann schaute ihn an, als habe er es mit einem Idioten zu tun: «Ich werde selbstverständlich hier bleiben», sagte er. «Mein direkter Draht zum Polizeipräsidenten darf nicht unterbrochen werden. Meine Präsenz hier ist unabdingbar und steht ganz außer Frage.»
Marthaler nickte. Und obwohl ihm Herrmanns geschraubtes Gerede zuwider war, war er über die Antwort froh.
«Sie werden mir täglich Bericht erstatten. Ich erwarte jeden Morgen um neun Uhr Ihren Anruf. Sie sind für den reibungslosen Ablauf verantwortlich. Und Sie werden zur Rechenschaft gezogen, wenn etwas schief geht.»
Marthaler gähnte. Wie immer, wenn jemand redete, nur um zu reden, reagierte er mit Müdigkeit.
«Außerdem», fuhr Herrmann fort, «wird es uns beiden gut tun, wenn wir uns nicht mehr jeden Tag sehen müssen. Oder was
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