Die Braut im Schnee
von Andrea Lorenz?»
«Das Schöne an unserem Beruf ist ja, dass man ohne Probleme an alle Informationen kommt, die man braucht.»
«Wann hat Toller kapiert, dass Sie der Täter sind?»
«Spät. Sehr spät. Erst als ich Kerstin Henschel schon hatte. Im Grunde war er ein Trottel. Ein fügsamer Trottel. Aber durch ihn habe ich alles erfahren, was ich wissen musste. Übrigens war er ganz erpicht darauf, Ihnen zu imponieren. Er wollte den Fall unbedingt lösen. Es sollte seine Eintrittskarte zur Kripo werden. Und ich sollte ihm dabei helfen. Wir haben mehrmals täglich telefoniert. Ich habe ihm versichert, dass wir gemeinsam den Täter finden werden. Er hat sich völlig auf mich verlassen. Er hat getan, was ich ihm gesagt habe.»
«Und er hat sogar Magenschmerzen bekommen, wenn Sie es verlangt haben, nicht wahr?»
Steinwachs lächelte. «Auch das, ja.»
«Und als er Ihnen auf die Spur gekommen ist, haben Sie ihn umgebracht», fuhr Marthaler fort.
«Irgendwann hat es so kommen müssen», sagte Steinwachs. «Aber man sagt, es sei ein leichter, sanfter Tod.»
«Und wie ist es Ihnen gelungen, Toller zu den Eschbacher Klippen zu locken?»
«Ich habe behauptet, Kerstin Henschel in der Nähe versteckt zu halten.»
«Sind Sie in Gegenwart einer Frau impotent?», fragte Marthaler unvermittelt.
Steinwachs antwortete ohne Umschweife: «Ja, seit ein paar Jahren meistens.»
«Wir haben inzwischen auch mit Ihrer Frau gesprochen. Wussten Sie, dass sie ein Verhältnis hatte?»
Steinwachs schaute Marthaler lange mit regloser Miene an. Schließlich nickte er.
«Was hat es mit den Brautschleiern auf sich?»
Raimund Steinwachs’ Gesichtsausdruck bekam etwas Schwärmerisches. «Als meine Mutter uns verlassen hat, war ich vier. Danach habe ich auf dem Dorf bei meiner Großmutter gelebt. Sie war Schneiderin. Sie konnte die schönsten Brautkleider nähen. Ich habe oft bei ihr gesessen. Und manchmal sind wir zu den Hochzeiten gegangen und haben uns vor der Kirche die Bräute angesehen, die Omas Kleider anhatten.»
«Was wäre mit Kerstin Henschel geschehen?», fragte Marthaler. «Was hatten Sie mit ihr vor?»
«Ich wusste nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Als Toller von ihr erzählte, dachte ich, sie könne mich reizen. Es war ein Irrtum. Dann habe ich den richtigen Zeitpunkt verpasst,sie einfach abzuknallen. Offen gestanden hat sie mich nicht besonders interessiert.»
Als Marthaler das Präsidium verließ, begegnete ihm Gabriel Eissler. Zum ersten Mal bemerkte er in den Zügen des Polizeipräsidenten einen Ausdruck von Resignation.
«Ich komme gerade aus dem Krankenhaus», sagte Eissler. «Ich habe die Kollegin Henschel besucht. Ihr körperlicher Zustand ist in Ordnung. Sie ist unverletzt. Welche seelischen Folgen das Ganze haben wird, müssen wir abwarten. Man hat ihr starke Beruhigungsmittel gegeben.»
«Kann ich zu ihr fahren?», fragte Marthaler.
«Nein», sagte Eissler, «warten Sie bis morgen oder übermorgen. Die Ärzte wollen, dass sie schläft. Sie soll möglichst nicht an das, was geschehen ist, erinnert werden.»
Marthaler nickte.
«Wie war das Verhör?», wollte der Polizeipräsident wissen. «Hat Steinwachs etwas zur Rolle von Hans-Jürgen Herrmann gesagt?»
«Ja. Herrmann war Kunde bei Gabriele Hasler. Es ist, wie wir befürchtet haben: Er hat uns seine Bekanntschaft zu ihr verschwiegen. Dadurch hat er unsere Ermittlungen behindert. Und er hat sich erpressen lassen.»
«Ich werde versuchen, ihn in seiner Kur zu erreichen. Ich will hören, was er zu sagen hat. Aber das wird natürlich Folgen haben.»
Marthaler wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte Herrmann nie gemocht, aber jetzt verspürte er keinerlei Genugtuung.
«Zwei», sagte Eissler.
Marthaler sah ihn fragend an.
«Zwei Kollegen, die wir an einem Tag verlieren: Toller und Steinwachs.»
«Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob sie mir fehlen werden», sagte Marthaler.
«Aber
mir
fehlt noch etwas», erwiderte Eissler.
«Nämlich?»
«Meine Badehose, Herr Hauptkommissar.»
Marthaler stieg in den grauen Daimler und fuhr nach Sachsenhausen. Als er das Haus im Großen Hasenpfad erreicht hatte und seine Wohnung betrat, hatten Tobi und sein Großvater bereits ihre Sachen gepackt. Sie hatten im Fernsehen die Bilder von der Festnahme gesehen.
«Und?», fragte Marthaler. «War er es?»
Tobi nickte. «Warum hat er gelächelt?», fragte er.
«Ich weiß es nicht», sagte Marthaler. «Aber es ist oft so. Sie lächeln fast immer,
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