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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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unverschlossen. Aus dem Raum kam ihm der Geruch von Seifenlauge entgegen. Er leuchtete die Innenwand ab, fand den Lichtschalter und knipste ihn an. Seine Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an die helle Deckenlampe gewöhnt hatten. Erst jetzt drückte er die Tür von innen zu.
    Er befand sich in der blau gekachelten Waschküche. Über ihm waren Leinen gespannt, an denen die Kleidungsstücke einer Frau hingen. An der Wand standen eine Waschmaschine und ein altertümlicher Trockner, auf dem ein leerer Wäschekorb abgestellt war. Marthaler erinnerte sich, dass seine Mutter oft mit ihm geschimpft hatte, wenn er als kleiner Junge zwischen den Leinen umhergeschlichen war und sein Gesicht in die noch feuchten Blusen und Hemden gesteckthatte, um den frischen Duft einzuatmen. Und an die Worte seines Vaters, die sie beschwichtigen sollten: «Lass ihn», hatte er gesagt, «das machen alle Kinder gerne. Das hab auch ich gerne getan.»
    Marthaler öffnete die schwere Feuertür, die ins Innere des Hauses führte. Erschrocken hielt er inne. Ihm war, als habe er aus einem der oberen Stockwerke ein Geräusch gehört.
    Er stand im Dunkeln und traute sich kaum zu atmen. Bewegungslos blieb er am Treppenabsatz stehen und lauschte. Vor Anspannung begann seine Gesichtsmuskulatur zu zucken. Er spürte, wie seine Handflächen feucht wurden und ein Schweißtropfen ihm den Rücken hinunterlief. Er wartete weiter. Doch das Geräusch wiederholte sich nicht. Er hatte sich wohl getäuscht. Mit einem lauten Schnaufen atmete er aus.
    Er stieg die steile Treppe hinauf zum Erdgeschoss. Im Flur suchte er einen Lichtschalter. Dann knipste er in allen Räumen auf der Etage die Deckenlampen an.
    Als Erstes untersuchte er den Wohnraum. An einer der Längswände stand ein Regal, das bis unter die Decke reichte. Es war voll gestopft mit alten Büchern. Es gab ein Sofa und einen Sessel, neben dem ein kleiner Lesetisch stand, auf dem eine aufgeschlagene Frauenzeitschrift lag. Am anderen Ende des Zimmers ein alter Fernseher und eine Musikanlage, die teuer gewesen sein musste.
    Die Kampfspuren, von denen Schilling gesprochen hatte, waren nicht mehr zu sehen. Die Kollegen der Dokumentationsabteilung hatten alles gefilmt und fotografiert, dann hatte man die Gegenstände, die als Beweismittel dienen konnten, zur Untersuchung abtransportiert.
    Marthaler schaute sich die C D-Sammlung an. Es gab viele Aufnahmen, die er ebenfalls besaß. Harnoncourts «Matthäus-Passion», Purcells «Dido & Aeneas» unter René Jacobs, und Barbara Bonneys wunderschöne Einspielung mit alten englischenLiedern. Gabriele Hasler hatte einen guten Geschmack gehabt.
    Dann trat er an das Bücherregal. Es sah so aus, als habe lange Zeit niemand mehr einen der Bände in die Hand genommen. Sie waren alle mit einer Staubschicht bedeckt. Eine Leserin war sie also nicht gewesen. Wahrscheinlich hatte sie die Sammlung geerbt und das Regal einfach stehen lassen. Auch die Bilder an den Wänden wirkten nicht, als habe eine junge Frau sie aufgehängt. Es waren Ölbilder und Stiche mit Ansichten der Stadt und der umliegenden Landschaften.
    Marthaler setzte sich in den Sessel. Er versuchte, sich Gabriele Hasler in diesen Räumen, in diesem Sessel vorzustellen. Es fiel ihm schwer. Er fragte sich, wie eine dreißigjährige Zahnärztin sich hier hatte wohl fühlen können. Sie hat hier gewohnt, dachte er, trotzdem hat man nicht den Eindruck, als sei sie hier auch wirklich zu Hause gewesen. Was hat sie hier getan? Sie hat Fernsehen geschaut, in einer Zeitschrift geblättert und Musik gehört. Hat sie hier auch Besuch bekommen? Hat sie mit ihrem Bräutigam zwischen diesen staubigen Büchern und den alten Bildern gesessen? Hat sie hier mit einer Freundin geplaudert?
    Er stand auf und ging in die Küche. Als Erstes öffnete er den Kühlschrank. Er war fast leer. Ein angebrochenes Glas mit Grapefruitmarmelade, ein Glas Senf, Butter, eine Tüte Milch und ein Teller mit etwas Käse, der mit einer Frischhaltefolie abgedeckt war. Auch im Schrank befanden sich nur wenige Vorräte: eine Tüte Spaghetti, Gewürze, eine Dose Birnen. Mit Ausnahme einer modernen Espressomaschine wirkte die Einrichtung der Küche alt und verwohnt. Es war offensichtlich, dass Gabriele Hasler ihre Anschaffungen auf das wenige beschränkt hatte, das ihr wichtig war.
    Marthaler kam sich vor, als stochere er im Nebel. Er wusste nicht, wonach er suchte. Er wollte sich ein Bild von GabrieleHasler machen. Er hatte das Gefühl, herausbekommen

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