Die Braut im Schnee
Haustür im Großen Hasenpfad hielten, stieg Marthaler aus.
In der Wohnung angekommen, vermied er es, auf die Uhr zu schauen. Er zog sich unverzüglich aus und legte sich ins Bett. Es dauerte eine Weile, bis er eine Stellung gefunden hatte, in der er liegen konnte. Doch noch größer als seine Schmerzen war seine Erschöpfung.
Und Tereza, dachte er, bevor ihm die Augen zufielen, wo ist Tereza jetzt?
SIEBEN
Am nächsten Morgen war die Stadt weiß und der Himmel darüber blau. Marthaler schaute aus dem Fenster. Die Bäume, Straßen und Dächer waren mit Schnee bedeckt, und gleich kam es ihm vor, als blicke er in eine andere Welt. Nichts war in Ordnung, trotzdem fühlte er sich besänftigt. Tereza hatte sich noch immer nicht gemeldet, sein Rücken schmerzte, und er hatte einen der unheimlichsten Fälle seit langem zu lösen. Aber der Anblick der Schulkinder, die sich auf dem Bürgersteig mit Schneebällen bewarfen, stimmte ihn heiter. Seine Gelassenheit hielt selbst dann noch an, als er merkte, dass er verschlafen hatte. Es war ihm egal.
Er stellte sich unter die Dusche und ließ das Wasser lange laufen. Anschließend schaute er in den Spiegel und betupfte die Schürfwunde, die sich von seiner Hüfte bis zur Wirbelsäule erstreckte, mit Desinfektionsmittel. Er wartete, bis sein Haar getrocknet war, dann zog er sich an und verließ das Haus. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Er hielt inne und schloss für einen Moment die Augen, um die Wärme auf seinem Gesicht zu spüren. Zehn Minuten später hatte er den Schweizer Platz erreicht und betrat kurz darauf das «Lesecafé». Er begrüßte Carola, die hinter dem Tresen stand und ihm wortlos zunickte. Er kam seit vielen Jahren oft mehrmals in der Woche hierher, um zu frühstücken oder nur, um zwischendurch einen Cappuccino zu trinken und die Tageszeitungen zu lesen.
Er bestellte einen doppelten Espresso und einen Orangensaft. Dann setzte er sich auf seinen Stammplatz am hinteren Ende des Cafés, wo sich der Raum noch einmal zu einer ArtWintergarten öffnete. Er blätterte die Lokalzeitungen durch, um nachzusehen, was sie über den Mord an der Zahnärztin berichteten. Alle brachten die Meldung, die die Pressestelle der Polizei am gestrigen Nachmittag herausgegeben hatte. Darüber hinaus ergingen sie sich in Spekulationen. Doch dabei würde es nicht bleiben. Die Journalisten würden versuchen, Einzelheiten zu erfahren. Und wenn sie die hatten, da war Marthaler sicher, würden sie die Sache noch größer herausbringen und über Tage am Kochen halten. Er und sein Team hatten einen Tag gewonnen, mehr nicht. Spätestens morgen würden sie den Druck der Meute zu spüren bekommen. Er faltete die Zeitungen zusammen und hängte sie zurück an den Haken.
«Hat sie sich gemeldet?», fragte er, als Carola ihm seine Getränke brachte.
Carola schaute ihn nicht an. «Wer soll sich gemeldet haben?»
«Wer wohl? Tereza. Hat Tereza sich bei euch gemeldet?»
Die Kellnerin antwortete nicht.
«Also hat sie …»
Carola wandte sich ab. «Ich muss nach vorne», sagte sie.
Marthaler hielt sie am Handgelenk fest. «Nein, musst du nicht. Du musst mir sagen, wo ich sie finde.»
«Robert, ich habe versprochen, ihre Adresse nicht weiterzugeben. Lass mich bitte los.» Mit großer Kraft entwand sie sich seinem Griff.
«Gib sie mir trotzdem», sagte er.
«Sonst?»
«Gib sie mir! Bitte! Ich habe lediglich vergessen, Tereza vom Flughafen abzuholen. Mehr habe ich nicht verbrochen.»
Carola sah ihm direkt in die Augen. Und nun war er es, der ihrem Blick auswich.
«Einer Frau würde das nicht passieren», sagte sie mit ruhigerStimme. «Einer Frau könnte auch etwas dazwischenkommen. Aber sie würde wenigstens anrufen und Bescheid sagen. Sie würde es nicht vergessen.»
Dann drehte sie sich um und verließ seinen Tisch. Marthaler schaute ihr nach. Sein Espresso war inzwischen kalt geworden. Er ließ ihn stehen. Er trank den Orangensaft mit zwei großen Schlucken aus, zog seinen Mantel über und ging zum Tresen, um zu zahlen. Carola gab ihm sein Wechselgeld, dann verschwand sie in der Küche. Marthaler wollte sich bereits dem Ausgang zuwenden, als er den kleinen Notizzettel sah. Er lag direkt neben der Kasse. Terezas Name stand darauf und eine Adresse. Er erkannte die Schrift; Tereza hatte den Zettel selbst geschrieben. Er steckte ihn ein und verließ das Café. Auf dem Weg zur U-Bahn fasste er immer wieder in seine Manteltasche, um das Papier zu befühlen. Er lächelte. Er kam sich
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