Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
Vom Netzwerk:
öffnete ihre Aktentasche und nahm einen Stapel bedruckter Blätter heraus, den sie vor sich auf den Tisch legte. Dann ergriff sie das Wort.
    «Ihr erinnert euch an die kleine Auseinandersetzung, die ich gestern Abend mit Kai hatte. Es ging um die Frage, ob Gabriele Hasler ihren Mörder gekannt hat oder nicht. Vielleicht hat Kai Recht. Ich habe heute Morgen ein wenig im Internet recherchiert. Ich habe mir die Kriminalstatistiken der letzten Jahre herausgesucht und bin dabei auf eine Untersuchung über ‹Polizeiliche Vorerkenntnisse von Vergewaltigern› gestoßen. Wie ihr vielleicht wisst, werden seit mehr als fünfzehn Jahren beim BKA Fallanalysen bei sexuell motivierten Gewaltdelikten durchgeführt. Das heißt, wir wissen inzwischen ziemlich viel über diese Täter. Zum Beispiel, dass es sich bei ihnen um Männer handelt, die in den allermeisten Fällen bereits polizeilich auffällig geworden sind. Und zwarinteressanterweise nicht unbedingt wegen sexuell motivierter Vergehen, sondern häufig wegen Diebstahls, Unterschlagung oder Körperverletzung. Die meisten so genannten Sexualmorde werden übrigens aus Verdeckungsabsicht begangen: Der Vergewaltiger will verhindern, dass das Opfer ihn anzeigt. Das heißt, echte sadistische Morde gibt es nur sehr selten   …»
    Kerstin Henschel hielt kurz inne. Es war ihr anzumerken, dass sie sich in ihrer Rolle als Dozentin nicht ganz wohl fühlte. Sie schien unsicher, ob die anderen bereit waren, ihrem Vortrag zu folgen. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Aber Kai Döring nickte ihr aufmunternd zu. «Sprich ruhig weiter», sagte er. «Vor allem bin ich gespannt, warum du sagst, dass du mir möglicherweise Recht geben könntest.»
    «Okay. Der Grund ist der: Alle Statistiken zeigen, dass es sich bei den Vergewaltigern um Männer handelt, die im Durchschnitt um die 30   Jahre alt sind. Und dass die meisten Täter ihre Opfer vorher kannten. Lediglich ein Viertel sucht seine Opfer außerhalb des eigenen Umfeldes. Das heißt, die Chance, Gabriele Haslers Mörder in ihrem Bekanntenkreis zu finden, steht immerhin drei zu eins. Deshalb sollten wir uns wohl darauf konzentrieren.»
    «Nein!», sagte Marthaler. «Ich bin dagegen, dass wir den Kreis der Verdächtigen schon jetzt eingrenzen. Im Moment wissen wir noch viel zu wenig. Wir müssen in alle Richtungen ermitteln. Du hast Recht: Wir sollten die Sadismus-Spur vorrangig verfolgen. Vielleicht sollten wir Kontakt mit den Spezialisten vom Bundeskriminalamt aufnehmen. Gibt es sonst noch Neuigkeiten?»
    Manfred Petersen schüttelte den Kopf. «Nicht wirklich», sagt er. «Kai und ich haben uns heute Morgen noch einmal in Oberrad bei den Nachbarn umgehört. Niemand, den wir befragt haben, hatte zu Gabriele Hasler Kontakt. Immerhin haben wir erfahren, dass ihre Eltern bis vor wenigen Jahrenein kleines Antiquariat auf der Berger Straße betrieben haben. Ein Gastwirt, bei dem die alten Haslers gelegentlich eingekehrt sind, berichtete, dass es wohl vor Jahren ein Zerwürfnis mit der Tochter gegeben habe. Genaueres wusste er nicht. Die Eltern sind beide tot. Und andere Verwandtschaft scheint es nicht zu geben.»
    «Es sieht so aus, als sei sie ziemlich streitlustig gewesen», sagte Marthaler. «Wir müssen mehr über sie erfahren. Wenn die Nachbarn nichts wissen, müssen wir eben weiter zurückgehen. Sie ist irgendwo zur Schule gegangen, sie hat studiert. Sie hatte Lehrer und Professoren. Sie hatte Kollegen und Patienten. Irgendwer muss sie doch besser kennen. Ich schlage vor, wir verteilen jetzt die Aufgaben. Bis unsere Büros eingerichtet und die Computer angeschlossen sind, sollten wir hier in diesem Raum unsere Einsatzzentrale einrichten. Auf diesem Tisch sammeln wir alles, was zu dem Fall gehört – alle Dokumente, Aussagen, Protokolle und Untersuchungsberichte.»
    «Dann haben wir einen Mord-Tisch», sagte Sven Liebmann.
    «Einen was?» Marthaler sah ihn fragend an.
    «Einen Mord-Tisch. So nennen das die amerikanischen Kollegen. Die Mitglieder einer Ermittlungseinheit schieben ihre Tische zusammen und arbeiten dort so lange gemeinsam an einem Fall, bis er abgeschlossen ist.»
    Sven Liebmann war während seiner Ausbildung für ein halbes Jahr in Los Angeles gewesen und hatte dort in einer Abteilung für Mord- und Raubfälle gearbeitet. Schon oft hatten sie von seinen Erfahrungen aus dieser Zeit profitieren können. Dennoch reagierte Marthaler immer ein wenig nervös, wenn er bemerkte, wie sehr die jüngeren Kollegen die

Weitere Kostenlose Bücher