Die Braut im Schnee
selbst zu eröffnen. Weder wollte er seine Vorwürfe gegen Herrmann wiederholen, noch wollte er sich vorschnell entschuldigen, aber etwas anderes wäre ihm nicht eingefallen.
«Wunderbar», sagte Eissler schließlich. «Das ist ein echtes Rentner-Bad hier. Keine schreienden Kinder, keine pubertierenden Jugendlichen. Nur Versehrte wie Sie und ich, die in aller Ruhe ein wenig planschen wollen.»
Dann hielt er Marthaler die Badehose hin, die er für ihn mitgebracht hatte. «Nicht das neueste Modell», sagte er, «aber beim Reden wird uns das nicht stören. Und zum Posieren haben wir hier sowieso keine Gelegenheit.»
Wieder einmal beneidete Marthaler den anderen um seine Gabe, ein Gespräch durch unverfängliches Geplauder in Gang zu bringen und so die Stimmung zu entkrampfen. Eissler hatte nie einen Zweifel an der eigenen Autorität aufkommen lassen, gleichzeitig ließ er immer Respekt vor der Arbeit seiner Leute erkennen. Er bewegte sich im Kreis hochrangiger Politiker und Juristen ebenso unbefangen wie auf einer Personalversammlung im Präsidium. Was auch immer er tat oder sagte, er wirkte ebenso souverän wie unbestechlich.
Marthaler glaubte, dass die Sympathie, die er für den Polizeipräsidenten empfand, auf Gegenseitigkeit beruhte. Umso unangenehmer war es ihm, seinen Vorgesetzten durch sein Verhalten in Schwierigkeiten gebracht zu haben.
«Nicht so verdruckst», sagte Eissler jetzt mit einem aufmunternden Lächeln. «Wir ziehen uns um, dann treffen wir uns im Schwimmbecken.»
Als Marthaler in der engen Kabine stand, seine Kleidung abgelegt und die alte Badehose des Polizeipräsidenten angezogen hatte, betrachtete er sich für einen langen Moment im Spiegel. Mein lieber Mann, dachte er, du kommst in die Jahre; es ist wahr: Es muss etwas geschehen. Dann fielen ihm Terezas Worte wieder ein. Wir dürfen nicht so enden wie die anderen Leute, hatte sie gesagt, nicht so wie jene, die sich selbst egal sind.
Eissler stand bis zum Bauch im Wasser und wartete auf ihn. Er hatte seine Brille abgelegt und blinzelte ihm aus zusammengekniffenen Augen entgegen. «Ich schlage vor, wir schwimmen ein paar Bahnen, dann sehen wir weiter.»
Marthaler hatte Mühe, das Tempo des Polizeipräsidenten mitzuhalten. Dennoch machte es ihm Spaß. Als er das Becken zum vierten Mal durchquert hatte, gab er auf. Er atmete schwer. Er legte sich auf den Rücken und ließ sich ein wenig treiben. Eissler hatte Recht gehabt. Die wenigen Besucher des Bades bestanden vor allem aus älteren Leuten, die gemächlich ihre Bahnen zogen oder am Beckenrand auf ihren Liegen ruhten und in Zeitschriften blätterten. Manche standen auch einfach im Wasser und unterhielten sich.
Nach einer Weile schaute Marthaler sich nach dem Polizeipräsidenten um. Er konnte ihn nirgends entdecken. Plötzlich tauchte dessen Kopf neben ihm auf. Eissler prustete und schnappte nach Luft.
«Herrlich, nicht wahr», sagte er. «Ich wünschte, alle dienstlichen Gespräche könnten im Wasser stattfinden. Alles wird ein bisschen leichter. Und der Abstand zwischen den Menschen wird kleiner, wenn sie nichts als eine Badehose anhaben. Wissen Sie was: Jetzt gehen wir nach draußen.»
Marthaler folgte ihm. Um die Schwimmhalle zu verlassen, mussten sie einen kleinen Gang und ein Kaltwasserbecken durchqueren. Hinter einem Plastikvorhang kamen sie ins Freie. Über dem warmen Wasser des Außenbeckens lag dichter Dampf. Marthaler staunte. Von hier aus konnte man die schneebedeckten Bäume des Taunus sehen. Auf einem Hügel lag eine Ruine, darüber kreisten im grauen Himmel zwei große Vögel. Es herrschte winterliches Wetter, aber man schwamm im Freien, als sei es Sommer. Er hatte so etwas noch nie gemacht. Es gefiel ihm; er merkte, wie er sich langsam entspannte.
«Kommen Sie, wir legen uns auf die Sprudelliegen. Das ist angenehm für den Rücken.»
«Ja», sagte Marthaler, «und dann sollten wir anfangen zu reden.»
Ein paar Minuten lang lagen sie schweigend nebeneinander und spürten, wie das sprudelnde Wasser ihre Haut massierte. Dann ergriff Eissler das Wort.
«Ich erwarte nicht, dass Sie sich entschuldigen», sagte er, «weil ich weiß, dass Sie es zwar tun würden, dass es Ihnen aber nicht ernst damit wäre. Habe ich Recht?»
«Stimmt», sagte Marthaler.
«Trotzdem haben Sie einen Fehler gemacht. Ein interner Konflikt darf nicht öffentlich ausgetragen werden. Den ersten Fehler hat Herrmann gemacht, den zweiten, leider viel größeren, Sie. Bevor wir über die Folgen reden,
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