Die Braut im Schnee
werde mich bemühen, sie der Reihe nach abzuarbeiten. Erstens: Zufälle gibt es nur selten in der Polizeiarbeit. Was wie ein Zufall aussieht, ist das Ergebnis fleißiger Ermittlungsarbeit. Wir haben einen Kollegen, der das Viertel wie seine Westentasche kennt, vor Ort recherchieren lassen. Wie Sie sehen: Unsere Strategie ist aufgegangen.»
«Namen», rief jemand, «wir wollen Namen.»
Der Leiter der Mordkommission hob beschwichtigend die Hand. Dann zeigte er gegen alle Regeln der Polizeiarbeit auf Toller, der in der ersten Reihe saß, und bat ihn, sich zu erheben. Toller verneigte sich in Richtung des Saals. Sofort flammten die Blitzlichter auf.
«Das ist der Kollege Raimund Toller. Er ist gerade erst im Rahmen der polizeiinternen Förderung zum MK I gestoßen und kann schon erste Erfolge verbuchen. Er hat herausgefunden, dass es dieses Haus im Osthafen gibt. Drewitz hatte es für wenig Geld von dem Besitzer der Maschinenfabrik gemietet.»
Toller stand immer noch vor seinem Stuhl. Man hatte ihn aufgefordert aufzustehen, aber nicht, sich wieder hinzusetzen.
«Sie dürfen wieder Platz nehmen, Kollege Toller», sagte Herrmann. Aus dem Saal hörte man verhaltenes Gelächter.
«Zweitens: Drewitz hatte einen Sprengsatz mit einem Zeitzünder versehen. Es sieht so aus, als habe er das Haus zur Explosion gebracht, um Spuren zu verwischen. Dass niemand zu Schaden kam, ist nur der Vorsicht unserer Beamten zu verdanken. Nachdem die Löscharbeiten beendet waren, hat sich die Spurensicherung an die Arbeit gemacht. Wir haben drei Computerfestplatten sichergestellt. Zwei davon waren so zerstört, dass wir keine Erkenntnisse mehr aus ihnen ziehen können. Die dritte wird zurzeit von unseren Spezialisten untersucht.»
«Stimmt es, dass darauf verbotenes pornographisches Material gespeichert ist?» Es war die junge Journalistin, die diese Frage stellte.
Herrmann zwinkerte nervös in ihre Richtung. Dann rieb er sich die Schläfe. «Ich bitte um Verständnis, dass ich dazu im Moment noch nichts sagen möchte.»
Die Reporterin machte einen Schmollmund. «Ooch, bitte, bitte!»
Wieder ertönte Gelächter.
Der Leiter der Mordkommission versuchte seine Irritation zu überspielen. Aber ausgerechnet jetzt sollte er auf die schwierigste von Grüters Fragen reagieren. «Drittens», sagte er. «Ob bei der Verfolgung des Gesuchten Fehler gemacht wurden, das kann Ihnen am besten Hauptkommissar Robert Marthaler beantworten.»
Marthaler hatte das Gefühl, als habe er einen Schlag in den Magen erhalten. Auf nichts war er weniger vorbereitet, als hier das Wort zu ergreifen. Durch den Saal ging ein Raunen. Alle drehten sich zu ihm um. Er merkte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. Aus Wut und vor Verlegenheit. Er schaute zu Boden und suchte nach Worten. Je länger er schwieg, desto größer wurde die Unruhe unter den Journalisten.
«Nein», platzte er schließlich heraus. «Verdammt nochmal: Nein. Es gibt nichts zu sagen.»
Marthaler ruderte mit den Armen. Die Fotografen, die eben noch im vorderen Teil des Saals gestanden hatten, kamen nach hinten gelaufen, um ihre Bilder zu machen. Die Reporter zückten ihre Blocks und machten hastig Notizen. Sie waren begierig auf Zitate, wollten sich keines seiner Worte entgehen lassen.
«Ich denke nicht daran, mich zu rechtfertigen. Ich bin heute Nacht zweimal nur knapp mit dem Leben davongekommen. Und Sie wagen es, von Fehlern zu sprechen. Lassen Sie uns gefälligst in Ruhe unsere schlecht bezahlte Arbeit machen! Lassen Sie uns in Frieden! Und noch etwas: Es war nicht abgesprochen, dass ich hier irgendetwas sagen soll. Vielmehr war es so, dass Hans-Jürgen Herrmann darauf bestanden hat, alle Fragen alleine zu beantworten. Er hat uns sogar Redeverbot erteilt. Ich sollte anwesend sein, aber den Mundhalten. Demzufolge halte ich es für eine maßlose Sauerei, dass mein Vorgesetzter hier versucht, in aller Öffentlichkeit den schwarzen Peter an mich weiterzugeben.»
Er hatte alles falsch gemacht, aber er fühlte sich jetzt besser. Trotzdem: Wieder einmal hatte er der Meute genau das Futter gegeben, das sie verlangte. Er schaute in den Saal. Seine letzten Sätze hatten eingeschlagen wie eine Bombe. Die Genugtuung auf den Gesichtern der Journalisten war nicht zu übersehen. Arne Grüter sah ihm direkt in die Augen. Er feixte. Und Marthaler ahnte, dass der «City-Express» ihn in seiner nächsten Ausgabe ans Kreuz nageln würde. Noch immer waren die Kameras auf ihn gerichtet. Alle warteten, ob er
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