Die Braut im Schnee
attackiert wehrlosen Reporter›.»
Grüter grinste Marthaler an. «Ja», sagte er. «Gar nicht schlecht. Das könnte gehen. Am besten, wir ziehen den Text über zwei Zeilen. Vielleicht kommen Sie diesmal sogar aufs Titelblatt.»
Als er sich dem Haus im Großen Hasenpfad näherte, sah Marthaler, dass es belagert war. Auf der Straße standen zwei Kamerateams und einige Fotografen. Es war gerade mal eine gute Stunde her, dass er die Pressekonferenz im Präsidium verlassen hatte. Er hatte in einem Thai-Restaurant ein Gemüsecurry gegessen und ein Kännchen Tee getrunken. Dann hatte er sich auf den Heimweg begeben. Obwohl heute Sonntag war, hatte diese Zeit den Redakteuren genügt, ihre Abordnungen zu schicken. Erst jetzt begriff er, welche Bedeutung der Fall inzwischen für die Medien gewonnen hatte. Sie hatten alles, was sie für eine große Berichterstattung brauchten: den spektakulären Mord an einer jungen Zahnärztin, einen Verdächtigen auf der Flucht, der einmal zum Dunstkreis des Jet-Set gehört hatte. Und einen Hauptkommissar, der sich öffentlich mit seinem Vorgesetzten angelegt hatte.
Marthaler sah, dass er keine Chance hatte, unbemerkt in seine Wohnung zu kommen. Er beschloss, in die Offensive zu gehen. Er zog sein Adressbuch hervor und tippte die Nummer des Polizeipräsidenten in Terezas Mobiltelefon. Es dauerte keine fünfzehn Sekunden, bis Gabriel Eissler sich meldete. Er kaute. Wahrscheinlich hatte Marthaler ihn beim Mittagessen gestört. Er entschuldigte sich und bot an, in einer halben Stunde erneut anzurufen.
«Kommt gar nicht in Frage», sagte Eissler. «Wir müssen reden. Herrmann hat mich bereits informiert. Was haben Sie sich bloß dabei gedacht? Das Ganze wächst sich zu einem Skandal aus. Im Radio liefen bereits die ersten Berichte. Und gerade habe ich einen Anruf aus dem Innenministerium bekommen. Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Die Sache muss so schnell wie möglich bereinigt werden.»
«Ja», sagte Marthaler. «Wenn es Ihnen recht ist, könnten wir uns im Weißen Haus treffen.»
«Marthaler, wie naiv sind Sie eigentlich? Dort stehen dochdie Journalisten wahrscheinlich schon Schlange. Außerdem habe ich keine Lust, wegen Ihrer Dummheiten meine Sonntagspläne über den Haufen zu werfen. Ich wollte ins Kurbad nach Königstein, schwimmen gehen, und genau das werde ich tun. Ich erwarte Sie dort in einer halben Stunde.»
«Aber ich habe nicht mal eine Badehose. Ich kann jetzt unmöglich in meine Wohnung.»
Eissler schien einen Moment zu überlegen. Als er schließlich antwortete, meinte Marthaler in seiner Stimme einen belustigten Unterton zu hören. «Dann werden Sie eine von mir anziehen. Ob sie Ihnen passt oder nicht. Außerdem gab es eine Zeit, in der auch ich ein wenig korpulenter war. Und ein Handtuch bringe ich Ihnen ebenfalls mit. Keine Widerrede! In einer halben Stunde treffen wir uns am Eingang!»
Marthaler konnte nichts mehr einwenden. Eissler hatte bereits aufgelegt.
Auf der Fahrt nach Königstein überlegte er sich, wie er sein Verhalten auf der Pressekonferenz begründen konnte. Aber wie immer, wenn er sich in die Enge gedrängt fühlte, reagierte er störrisch. Jede Rechtfertigung wäre ihm lächerlich vorgekommen. Er hatte getan, was er getan hatte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, vielleicht war es auch besser so. Herrmann hatte ihn öffentlich bloßstellen wollen, und er hatte öffentlich gesagt, was er davon hielt. Manchmal war es besser, einen Konflikt an Ort und Stelle auf die Spitze zu treiben, als ihn weiter schwelen zu lassen und darauf zu hoffen, dass er sich mit der Zeit von selbst löste.
Als er den Ortseingang von Königstein passiert hatte, sah er das auffällige Gebäude des Kurbades rechts am Hang liegen. Er fuhr die Auffahrt hinauf, ließ die Scheibe herunter und zog einen Parkschein. Dann stellte er den Wagen ab.
Der Polizeipräsident wartete bereits in der Eingangshalle. Er trug eine braune Kordhose und ein wollenes Jackett. SeinenWintermantel hatte er ausgezogen, und zu seinen Füßen stand eine Sporttasche. Gabriel Eissler war ein groß gewachsener, schlanker Mann. Dass er einmal Übergewicht gehabt haben sollte, konnte Marthaler sich nicht vorstellen.
Sie gaben sich zur Begrüßung die Hand und lächelten einander an. Keiner von beiden sprach, als sie die Treppe in den ersten Stock hinaufgingen, wo sich die Kasse befand. Marthaler bereitete das Schweigen seines Vorgesetzten Unbehagen, dennoch zwang er sich, das Gespräch nicht
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