Die Braut im Schnee
bei dem Gedanken, so gänzlich außerhalb des Reglements zu arbeiten. Und er konnte die Folgen dessen nicht einschätzen, was Eissler vorgeschlagen hatte.
«Ich weiß nicht», sagte er, «das gefällt mir alles nicht. Das sind krumme Touren.»
«Nein», sagte Eissler. «Das ist die einzige Möglichkeit, die ich sehe. Oder wollen Sie, dass unsere Arbeit weiter dadurch behindert wird, dass die Kamerateams Ihre Wohnung und das Weiße Haus belagern und den Streit zwischen Ihnen und Herrmann genüsslich ausschlachten.»
«Und was, wenn ich nein sage?», fragte Marthaler. «Wenn ich auf Ihren Vorschlag nicht eingehe und keinen Urlaub nehmen will?»
«Dann müsste ich Sie beurlauben», sagte Eissler. «Dann würde es einer Suspendierung gleichkommen.»
Marthaler nickte. Dann schwamm er zurück zur Schleuse und stieg aus dem Becken. Er schaute sich nicht mehr zu Eissler um.
ZWANZIG
Marthaler hatte sich, als er das Kurbad in Königstein verlassen hatte, in den grauen Daimler gesetzt, hatte Eisslers alte Badehose und das nasse Handtuch auf die Rückbank geworfen und war zu Kerstin Henschel nach Hause gefahren, um sich mit ihr zu beraten. Sie wohnte in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Marktplatzes auf der Berger Straße. Seit das MK I ins Weiße Haus umgezogen war, konnte sie zu Fuß zur Arbeit gehen. Eine Zeit lang hatte Manfred Petersen mit ihr zusammengelebt, aber jetzt war er wieder ausgezogen. Marthaler bot ein weiteres Mal an, mit ihr darüber zu reden, aber sie lehnte ab. «Es ist vorbei, und ich möchte es vergessen», sagte sie.
Marthaler fragte, ob sie und Kai Döring in Darmstadt etwas über den Verbleib von Stefanie Wolfram herausbekommen hatten, aber sie verneinte.
«Niemand weiß etwas», sagte sie. «Selbst ihren Eltern hat sie nichts gesagt. Sie hat bisher weder angerufen noch eine Karte geschrieben. Sie ist immer noch irgendwo in Australien oder Neuseeland unterwegs. Es ist wohl so, wie dieser Nachbar gesagt hat: Sie nimmt sich ein paar Monate Urlaub vom Leben. Vielleicht will sie einfach mal ausprobieren, wie es ist, wenn man unserem ekelhaften Wetter entflieht und für einige Zeit nicht von diesen schlecht gelaunten Deutschen behelligt wird.»
Marthaler war erstaunt über diesen kleinen Ausbruch seiner Kollegin, aber er reagierte nicht darauf. «Man weiß nur, dass sie nach Sydney geflogen ist», sagte Kerstin Henschel.
«Gut», sagte er. «Dann kann man auch herausfinden, mitwelcher Airline sie geflogen ist und welchen Flug sie genommen hat. Lass uns die australischen Kollegen um Hilfe bitten. Sie müssen ihrer Spur nachgehen. Wenn wir wissen, wann ihre Maschine in Sydney gelandet ist, kann man Leute befragen. Wenn wir Glück haben, erinnert sich jemand an sie. Vielleicht eine Stewardess, vielleicht ein Mitreisender. Oder ein Taxifahrer. Sie muss irgendwo übernachten. Sie muss irgendwo einkaufen und essen. Vielleicht hat sie sich einen Wagen gemietet. Es gibt Möglichkeiten. Wir sollten den Kollegen sofort ein Foto von ihr schicken.»
«Schon passiert», sagte Kerstin Henschel. «Ich habe das bereits gestern alles in die Wege geleitet.»
«Und wir müssen sicherstellen», sagte er, «dass außer uns niemand etwas über ihren Aufenthaltsort erfährt. Und auch nicht darüber, wann sie zurückkommt. Wir müssen davon ausgehen, dass sie weiterhin gefährdet ist. Wer auch immer versucht hat, sie zu töten, er wird es nicht bei seinem Irrtum bewenden lassen. Er wird es wieder versuchen.»
«Auch das habe ich dem Beamten in Sydney eingeschärft», erwiderte Kerstin Henschel.
Marthaler nickte. Na prima, dachte er, dann läuft doch auch ohne mich alles bestens. Aber er war sich keineswegs sicher, ob ihm das gefiel.
Dann kam er auf eine Idee. Er bat seine Kollegin, zu seiner Wohnung zu fahren und den wartenden Journalisten mitzuteilen, dass er Urlaub genommen und diesen bereits angetreten habe. Sie solle ihnen sagen, dass er mit unbekanntem Ziel verreist sei.
«Sag ihnen: Hauptkommissar Marthaler nimmt sich für ein paar Wochen Urlaub vom Leben.»
Kerstin Henschel sah ihn mit großen Augen an. «Was soll das heißen, Robert? Wir sind mitten in einer Ermittlung. Du kannst nicht einfach untertauchen.»
Erst jetzt erzählte er ihr, was am Nachmittag im Schwimmbad von Königstein geschehen war. «Eissler hat mich suspendiert», sagte er. «Entweder ich nehme mir Urlaub, hat er gesagt, oder
er
müsse mich beurlauben.»
«Suspendiert?»
«Ja. Ich weiß nicht, für wie lange. Ich weiß nicht,
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