Die Braut im Schnee
was das für die Ermittlungen bedeutet. Ich weiß gar nichts. Aber ich will nicht, dass die Journalisten es erfahren. Jedenfalls nicht sofort. Also sag ihnen, dass ich Urlaub habe.»
Sie verließen gemeinsam das Haus. Kerstin Henschel, um die Journalisten vor seiner Wohnung zu belügen; Marthaler, um die Zeit zu überbrücken, bis er wieder nach Hause konnte. Als er im Wagen saß, merkte er, wie müde er war. Das Schwimmen und das warme Wasser hatten ihn erschöpft. Obwohl dieser Nachmittag so unerfreulich verlaufen war, fühlte er sich auf angenehme Weise erschlafft. Er überlegte, Tereza anzurufen, dann fiel ihm ein, dass er immer noch ihr Handy hatte und nicht wusste, wie er sie sonst erreichen konnte. Eigentlich hatte er sich Namen und Adresse ihrer Pension noch aufschreiben wollen, aber als Toller gestern Abend im «Gattopardo» angerufen hatte, war alles andere in Vergessenheit geraten. Jetzt blieb ihm wieder nur, darauf zu warten, dass sie sich meldete.
Ohne zu wissen, wohin, fuhr er durch die Stadt. Es war ein grauer Sonntag, und nur wenige Menschen waren unterwegs. In der Innenstadt stellte er den Wagen ab und ging zu Fuß weiter. Manchmal kamen ihm Männer entgegen, allein oder zu zweit über die Bürgersteige schlendernd. Jedes Mal, wenn er an ihnen vorbeikam und ihre Stimmen hörte, merkte er, dass es Polen waren oder Russen. Einsame graue Gestalten an einem einsamen grauen Sonntag. Er fragte sich, was sie hier taten. Wahrscheinlich nichts. Sie hatten weder Frauennoch Kinder. Sie waren mit der Hoffnung in dieses Land gekommen, dass es ihnen hier besser gehen würde als zu Hause. Sie warteten, dass es Montag würde und sie wieder versuchen konnten, am Osthafen irgendeinen Hilfsjob zu ergattern. Dann gingen sie am Abend in ein Männerwohnheim, spielten Karten, schauten fern und sanken auf ihre Matratzen, wo sie noch ein paar Flaschen Bier tranken, um schneller einzuschlafen und sich früh am nächsten Morgen erneut an den Hafen zu stellen.
In der Allerheiligenstraße sah er das Schild einer Kneipe. Er beschloss, sich an die Theke zu setzen, ein Bier zu trinken und anschließend nach Hause zu fahren. Als er den Gastraum betrat, sah er Toller mit einem anderen Mann an einem der Tische sitzen. Marthaler wollte wieder umkehren, aber es war bereits zu spät. Toller hatte ihn erkannt und winkte ihm zu.
«Ich will nicht stören», sagte Marthaler.
«Setz dich zu uns», sagte Toller und zeigte mit dem Kopf auf seinen Tischnachbarn. «Ihr kennt euch ja, oder.»
Der andere reichte ihm die Hand. Und jetzt erkannte ihn Marthaler. Es war Raimund Steinwachs, Tollers Kollege vom 8. Revier. Sie sahen sich ähnlich und trugen beide denselben Vornamen. Obwohl ihre Charaktere unterschiedlicher nicht hätten sein können, waren sie seit langem befreundet und tauchten fast überall gemeinsam auf. Immer wieder war es der ruhigere und überlegene Steinwachs gewesen, der Toller gedeckt hatte, wenn dieser durch seine unbesonnene Art in Schwierigkeiten geraten war.
«Ja», sagte Marthaler, «wir kennen uns.» Dann schwieg er. Er bereute es bereits, dass er Toller in der Nacht zuvor geduzt hatte und sich nun nicht mehr dagegen wehren konnte, dass der andere ihn ebenso vertraulich anredete.
«Was machst du hier? Am Sonntag?», fragte Toller. «Hast du kein Zuhause?»
«Doch, aber das wird belagert.»
Die beiden Freunde wechselten einen Blick.
«Verstehe», sagte Toller und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. «Ist nicht gut gelaufen heut Morgen.»
«Für dich schon. Oder?»
«Hör mal, ich kann nichts dafür, dass Herrmann mich als Helden hingestellt hat. Mir geht diese Rolle gründlich am Arsch vorbei.»
Marthaler hob eine Augenbraue. «Ah ja? Wirklich?»
Toller pumpte. Dann brauste er auf. «Was soll das heißen? Wenn ich dich letzte Nacht nicht gewarnt hätte, hätte dieser Typ dir mit seiner Eisenstange …»
Aber Steinwachs legte ihm eine Hand auf den Unterarm: «Raimund, bitte.» Dann wandte er sich an Marthaler. «Nehmen Sie ein Bier?» Bevor Marthaler etwas sagen konnte, hatte Steinwachs dem Wirt bereits ein Zeichen gegeben. «Ihr steckt ziemlich fest, hm? Keine Spuren am Tatort, nichts.»
«Doch», sagte Marthaler. «Reichlich Spuren. Und vielleicht hätten wir sogar ein paar verwertbare gefunden, wenn ihr das Haus der Zahnärztin nicht so gründlich nach dem Täter durchsucht hättet!»
Steinwachs nickte. «Ja», sagte er, «das war extrem dusselig von uns. Aber wir waren ziemlich von der
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