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Die Braut sagt leider nein

Titel: Die Braut sagt leider nein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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sehen ich bereits das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatte.
    Ich sah Alex von der Seite an. Auch er hatte Tanja bemerkt, sein Gesicht hatte sich gerötet, er bedachte sie mit einem ärgerlichen Blick. Keine Frage, ihre Anwesenheit hier war nicht abgesprochen. Aber warum war sie hier? Ich hätte es jedenfalls nicht ertragen, die Braut meines Geliebten zu sehen, auf dem Höhepunkt vollkommener Schönheit, hätte es nicht ertragen, zu sehen, wie sie und er den Bund fürs Leben schlössen, für immer und ewig. Vielleicht hatte sie masochistische Neigungen, Alex' kleine Wildkatze. Ich schenkte ihr ein besonders strahlendes Lächeln, und da senkte sie immerhin den Kopf. Meine Patentante Gertrud, meine Mutter, meine Cousine Susanna und Bruno saßen mit Hanna und Hilde und Stefan, dem anderen Trauzeugen, in der ersten Reihe. Sie alle lächelten mir zu, ja sogar Bruno ließ seine Nasenhaare freudig beben.
    Für Alex und mich hatte man zwei Stühle direkt vor den Altar gestellt, auf die wir uns niederlassen und die aufgeregt wippenden Kniegelenke entspannen durften.
     
    Der Pfarrer, ein wenig furchteinflößend im schwarzen Talar, hatte eine lange Predigt vorbereitet, passend zur Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther (13, 4-8a).
    »Die Liebe höret niemals auf«, heißt es da. »Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf«
    Als ich das hörte, wusste ich mit ziemlicher Sicherheit, dass damit nicht dieselbe Liebe gemeint sein konnte, die ich einmal für Alex empfunden hatte. Meine Liebe war weder unendlich noch glaubte, hoffte und ertrug sie alles. Tanja in den schwarzen Strümpfen hatte meine Liebe in Sekundenbruchteilen erschöpft. Aber das konnte der Pfarrer nicht wissen.
    Endlich war es soweit. Wir durften uns erheben, die Trauzeugen sich links und rechts neben uns postieren. Ich zupfte nervös Kleid und Strauß zurecht. Noch konnte ich es mir überlegen.
    Der Pfarrer räusperte sich feierlich. »Alexander Baum, ich frage Sie, sind Sie hierhergekommen, um nach reiflicher Überlegung und aus freiem Entschluss mit Ihrer Braut Elisabeth Jensen den Bund der Ehe zu schließen?«
    »Ja«, sagte Alex, nicht zu laut und nicht zu leise. Tanja in der dritten Reihe von hinten würde es deutlich gehört haben.
    »Wollen Sie Ihre Frau lieben und achten, ihr die Treue halten alle Tage ihres Lebens?« Alex sah mir direkt in die Augen.
    »Ja«, sagte er.
    Der Pfarrer lächelte leicht. Dann wandte er sich an mich.
    »Elisabeth Jensen, ich frage Sie, sind Sie hierhergekommen, um nach reiflicher Überlegung und aus freiem Entschluss mit Ihrem Bräutigam Alexander Baum den Bund der Ehe zu schließen?«
    Ich holte tief Luft und zählte in Gedanken die Sekunden, von zwanzig aufwärts. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, der Pfarrer schaute überrascht von seinen Notizzetteln auf, in Gedanken war er schon beim Schlusssegen gewesen, dreiundzwanzig, vierundzwanzig. Alex wandte den Kopf zur Seite und sah mich an, fünfundzwanzig, sechsundzwanzig.
    »Nein«, rief jemand von hinten.
    Alle Köpfe fuhren herum. Auf der Schwelle stand ein Mann, die Nachmittagssonne genau im Rücken. Man konnte sein Gesicht nicht erkennen, nur seine Silhouette, breite Schultern, schmale Hüften, lockiges blondes Haar, das seinen Kopf wie eine Aureole umgab. Er sah aus wie ein Fleisch gewordener Erzengel.
    »Tu's nicht«, rief er. »Für den Kerl bist du viel zu schade. Du hast was Besseres verdient.«
    Niemand sagte etwas, es war totenstill. Ich wartete noch eine Sekunde.
    »Nein«, sagte ich dann zu Alex. Sein Kiefer war heruntergeklappt, die Spitze seiner Zunge hing auf der unteren Zahnreihe wie ein nasser Waschlappen, ansonsten sah er aus wie immer.
    »Ich kann es nicht tun. Ich liebe dich nicht mehr«, fügte ich erklärend hinzu.
    »Komm«, rief der Erzengel auf der Schwelle, »lass uns gehen!«
    Ich schenkte dem Pfarrer ein bedauerndes Lächeln, drehte mich um und schritt leichtfüßig dem blendenden Sonnenlicht entgegen.
    »Hier bin ich«, sagte ich und sah, dass der Erzengel menschliche Züge trug, eine kräftige Nase hatte, ein energisch vorstehendes Kinn, dicht bewimperte, schiefergraue Augen.

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