Die Braut sagt leider nein
neben mir. »Sicher wirst du noch öfter Gelegenheit haben, in einem Schuppen wie diesem zu speisen. Komm jetzt, wir müssen uns beeilen.«
Ich folgte ihr zögernd. Auf dem Weg nach draußen kamen wir an einem drei Meter langen Tisch vorbei, auf dem sich ein beeindruckender Geschenkeberg türmte, große Kisten, kleine Kisten, so weit das Auge reichte. Ich blieb davor stehen.
»Eine Schande«, sagte ich zu Hanna. »Eine Schande, dass ich davon auch nichts kriegen soll.«
»Du müsstest es zurückgeben«, sagte Hanna. »Da hast du nichts von.«
»Ich weiß«, seufzte ich und ließ meinen bedauernden Blick ein letztes Mal über die Geschenke streifen. Das alles hätte mein sein können, dachte ich. Alles! »Vielleichtsage ich doch lieber ja«, sagte ich zu Hanna. Da entdeckte ich eine vergleichsweise winzige, längliche Schachtel zwischen zwei größeren Paketen liegen. Ich wusste sofort, das konnte nur der silberne Füllfederhalter sein, den ich mir schon immer gewünscht hatte. Verstohlen sah ich mich um und nahm die Schachtel einfach mit.
In der Limousine las ich die Karte, die dabeigelegen hatte: »Dem Brautpaar alles Gute von Carola, Tommy und Calvin.« Wie nett! Dabei waren die nicht mal eingeladen, oder doch?
»Das ist Diebstahl«, sagte Hanna tadelnd.
Ich zuckte die Schulter. »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Außerdem kann mir niemand was nachweisen. Das Päckchen könnte einfach verloren gegangen sein, in diesem Durcheinander, oder?«
Hanna ärgerte sich. »Ich hätte mir auch gern ein Paket mitgenommen. Diese herrlichen Weingläser zum Beispiel, die hätte ich furchtbar gut gebrauchen können!«
»Wir können noch mal zurückfahren«, schlug ich gierig vor. »Ich will auch die Schneekugeln haben!«
»Das geht nicht«, meinte Hanna nach einem Blick auf die Uhr. »Leider.«
»Wir haben ja auch immer noch kistenweise Champagner«, tröstete ich uns.
Der Chauffeur nahm den Fuß vom Gas. »Wir sind gleich da«, sagte er und tuckerte in angemessener Geschwindigkeit weiter. Mir wurde noch eine Spur mulmiger zumute.
Vor uns tauchte die Kirche auf. Sie lag auf einem kleinen Hügel, eine steile, breite Treppe führte bis hinauf zum Portal, und die ganze Treppe stand voll festlichgekleideter Menschen. Ganz oben stand Alex in seinem Vatermörderhemd. Als der Wagen hielt, kam er mir entgegen, die ganzen Stufen herab, half mir aus dem Wagen und überreichte mir den Brautstrauß. Hilde hatte ihn ausgesucht, passend zum Kleid. Cremefarbene Rosen, Ranunkeln und als einzelne Akzente orangefarbene Fresien, Knospe an Knospe, wie ein Wasserfall gebunden. Die Blütenflut reichte von meiner Taille bis zu den Oberschenkeln. Die Gäste auf der Treppe klatschten Beifall, als Alex mich vorsichtig auf die Lippen küsste. Ich fühlte mich wie eine Schauspielerin in einem Freilichttheater, mit Lampenfieber und allem, was dazugehörte. Es war ein tolles Gefühl, so im Mittelpunkt zu stehen. Alex schien es ebenfalls zu genießen.
Auf einen Wink von Hilde strömten alle in die Kirche. Oben warteten nur die Blumenkinder auf uns, zwei blonde Engel, eineiige Zwillinge von Alex' Cousine Dietlinde, in rosa Rüschenkleidern.
Alex griff nach meinem Ellenbogen.
»Und jetzt wir«, sagte er. »Ich bin richtig aufgeregt, du nicht?«
»Doch«, flüsterte ich. »Das ist der aufregendste Tag in meinem Leben.«
An Alex' Arm schritt ich die Treppe hinauf, über die Schwelle und den Gang entlang nach vorne zum Altar. Wir gingen langsam, wie Hilde es uns eingeschärft hatte, die Orgel intonierte »Lobe den Herren«.
Ein paar Schritte lang hielt ich den Gedanken, Nein zu sagen, für völlig absurd. Das hier war so schön, so perfekt, dass ich ganz gerührt war und auf eine eigenartige Weise glücklich. Alle unsere Gäste hielten uns das Gesicht zugewandt, ich blickte lächelnd nach linksund rechts. Da war Kassandra mit der Karneolkette auf der Stirn - danke für den Sonnenschein -, dann Carola, Tommy und der dicke Calvin, also doch — danke für den wunderbaren Füller. Davor Horst und Sylvia, für sie würde ich meine Rolle gleich noch eine Spur besser spielen. Danke jedenfalls für den Champagner.
In der dritten Reihe sah ich einen hellblonden Pagenkopf schimmern. Zwei babyblaue Augen musterten mich abschätzend, aber sie konnten natürlich keinen Makel entdecken. Beinahe wäre ich stehen geblieben. Wenn das nicht der Gipfel der Dreistigkeit war! Da saß doch wahrhaftig die Praktikantin Tanja, die nur in schwarzen Strümpfen zu
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