Die brennende Gasse
Geschwindigkeit auf dem Boy Boulevard Richtung Süden, dann auf Route 13, dann links in die White Street. Es wäre wesentlich effizienter gewesen, einfach den Namen des betreffenden Jungen einzutippen, Abraham Prives; aber das hatte etwas so Direktes, daß Janie es unangenehm, ja fast gewalttätig fand.
Denn sollte jemand einfach ihren Namen in die Datenbank eingeben und daraufhin all die erwünschten Informationen erhalten, würde sie absolut zu Eis erstarren. Natürlich hatte das sicher schon jemand getan, vielleicht viele Leute – und zwar aus bestürzenden Gründen. Aber darüber wollte sie nicht nachdenken.
C ’ est la vie, zwang sie sich zu denken. Ach, wenn ich doch nur einmal wieder ein unbekümmertes Mädchen sein könnte …
Abraham Prives – der Name erschien immer wieder auf dem Bildschirm, während seine Daten zusammengestellt wurden. Wie kalt und unpersönlich es aussah, diese elektronische Akte anzusammeln. Janie berührte den Bildschirm, um den Vorgang zu stoppen, als ein Foto von ihm erschien. Sie sah das Bild eines hübschen Jungen, der vielleicht zehn oder elf gewesen war, als er erstmals für die Kamera gelächelt hatte. Die großen braunen Augen wirkten intelligent, aber gleichzeitig zurückhaltend. Janie fragte sich, ob Abraham vielleicht ein bißchen schüchtern war.
Aber er war nicht zu schüchtern für Mannschaftssport. Janie sah seine Akte in erster Linie deswegen durch, weil er einen Unfall gehabt hatte, als er Fußball spielte, einen spontanen Zusammensto ß m it einem anderen Spieler, der dazu geführt hatte, daß Abraham flach und unbeweglich in einem Krankenhausbett im Jameson Memorial Hospital landete. Zwei seiner Wirbel waren zersplittert wie ein knackendes Weinglas. Die Knochensplitter hatten seinem Rückenmark schreckliche Schäden zugefügt. Es handelte sich um eine absurde Verletzung, wenn man bedachte, wie gewöhnlich der Unfall als solcher gewesen war, und diese Abnormität hatte jemanden von der Unfallstation des Jameson veranlaßt, sich mit der New Alchemy Foundation in Verbindung zu setzen, wo Janie als Forschungsassistentin arbeitete.
Die Datei würde in ihren Datenspeicher bei der Stiftung überspielt werden, wo sie sie später in aller Ruhe wieder abrufen und untersuchen konnte. Aber bevor sie das tat und Big Datties Bedienungssystem verließ, machte sie einen kurzen Rundgang durch die Informationen über Abraham in der Hoffnung, eine klarere Vorstellung von ihm zu bekommen. Die Datenbank verriet ihr, daß seine Intelligenz höher war als die von vierundneunzig Prozent der Bevölkerung, daß er voll immunisiert war, sein Vater allerdings die Ausbrüche im Gegensatz zur Mutter nicht überlebt hatte. Er trieb Sport und lernte in der Schule Russisch. Ein netter, ausgeglichener Dreizehnjähriger des Nach-Ausbruchs-Zeitalters.
Vorher hatte er sich jedoch schon einmal etwas gebrochen – ein Handgelenk, letztes Jahr. Der Bruch war kompliziert gewesen, hatte seinen Orthopäden verwirrt und dann ungewöhnlich lange gebraucht, um zu verheilen. Der Orthopäde hatte den Jungen auf Osteogenesis imperfecta getestet, eine etwas weit hergeholte Maßnahme – diese seltene Knochenkrankheit wurde nämlich gewöhnlich schon kurz nach der Geburt sichtbar. Abrahams Testergebnisse waren wie erwartet negativ.
Der Junge spielte erst seit einem Monat wieder Fußball, als die Tragödie mit seiner Wirbelsäule passierte.
Er fiel um wie ein Sack Kartoffeln und konnte kein Glied mehr rühren, hatte der Trainer ihr erzählt, als sie mit diesem in Verbindung trat.
Janie verstand – vor allem den Teil mit dem Kartoffelsack. Die schlechte Nachricht ist … dachte sie, als sie das Zeichen auf dem Bildschirm berührte, das die Datei auf ihren Computer überspielen würde.
Auf ihrer Liste von Dingen, die im Zusammenhang mit Abraham Prives zu erledigen waren, stand auch ein Gespräch mit der Person im Jameson, die als erste die Stiftung angerufen hatte. Aber als sie sich im Krankenhaus nach dem Namen dieser Person erkundigen wollte, wußte ihn anscheinend keiner. Sie kam zu dem Schluß, daß ihr Supervisor das durcheinandergebracht haben mußte, und war ärgerlich auf ihn – kein ungewöhnlicher Zustand in ihrer angespannten Beziehung. Aber letzten Endes spielte es keine Rolle, wer angerufen hatte – nur, daß der Anruf erfolgt war! Janie pflegte jedoch nicht gleich den Überbringer einer schlechten Nachricht zu erschießen.
Bevor sie die Datenbank verließ, schaute sie sich noch die
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