Die brennende Gasse
der Flucht und wurde gejagt. » Das eine Mal, als ich ihn ohne Hemd sah, wandte er sich von mir ab. Jetzt verstehe ich, warum. « Nach einem verwirrten Augenblick fragte er: » Aber wie kam es dann, daß de Chauliac ihn nach England geschickt hat? «
» De Chauliac hat es nicht gewußt, weil Père seine Identität verschwieg. Er trug den Namen eines toten Gefährten, eines Soldaten, mit dem zusammen er Spanien verlassen hatte. «
» Warum? «
» Weil er dort einen Bischof getötet hatte. «
» Einen Bischoff Und trotzdem läuft er noch ungefoltert durchs Land? «
» Ich schwöre, daß es wahr ist. Und du mußt mir glauben, Karle – er hatte jedes Recht zu dieser Tat. «
» Aber ein Bischof … das ist wahrhaftig eine schwere Sünde. «
» Und die Erinnerung daran belastet ihn Tag für Tag. Der verfluchte Kirchenfürst hatte ihn und seine Familie ruiniert; nur wegen der Exhumierung eines Leichnams, eines Mannes, den Père von einem schrecklichen Leiden zu heilen versucht hatte. Er mußte unbedingt herausfinden, warum dieser Mann gestorben war. Also nahm er den Leichnam aus dem Grab … «
» Mon Dieu! « stöhnte Karle.
» Karle – du mußt versuchen zu verstehen – wenn man so leidenschaftlich nach Wissen strebt wie Père, ist man oft gezwungen, Gefahren auf sich zu nehmen. Und er hat seinen Drang nach Erkenntnis teuer bezahlt. Seine Familie wurde aus Cervere vertrieben, ihr Hab und Gut beschlagnahmt – sie mußten Spanien in de r s chlimmsten Pestzeit verlassen. « Sie ließ ein wenig den Kopf sinken. » Er weiß nicht, ob sein Vater oder seine Mutter die Flucht überlebt haben – sie waren damals schon alt, und es liegt bereits zehn Jahre zurück. «
» Da geschieht es ihm nur recht, wenn er dieses Verbrechen teuer bezahlt hat. «
Kates Wangen waren von brennendem Zorn gerötet, aber sie beherrschte sich mühsam. » Père weiß, daß er eines Tages für seine Taten verurteilt werden wird. In seinen heiligen Büchern heißt es › Auge um Auge ‹, und er kann zwar nicht offen fromm sein – aber er nimmt die Worte seiner Propheten sehr ernst. «
Ein Moment verging schweigend. Dann fuhr Kate fort: » In Avignon hat er versucht, sich als Arzt niederzulassen und auf die Ankunft seiner Familie zu warten. Aber er wurde mit anderen Ärzten zusammen gezwungen, sich von de Chauliac unterrichten zu lassen. Sie wurden über ganz Europa verteilt, um die Gesundheit der Königshäuser zu schützen; denn der Papst wollte mit Hilfe königlicher Heiraten seine Ränke schmieden, und das konnte er nicht, wenn alle Bräute und Bräutigame dahinsiechten, bevor er sie in die Hand bekam. So ist Père nach England gelangt – sonst wäre er noch heute in Avignon. Viele Jahre lang hat er gehofft, daß seine Familie es dorthin schaffte, aber er hat Angst vor einer Rückkehr, denn man könnte ihn erkennen und einsperren. Und trotz aller Hoffnungen für seine Angehörigen weiß er, daß sie kaum die Reise aus Spanien oder dann die Pest überlebt haben können. «
Karle seufzte in tiefem Erstaunen. » Wie grausam die Hand des Schicksals sein kann! Er hielt Paris für sicher, und dabei erwartete ihn hier die größte Gefahr. « Einen Augenblick dachte er nach und sagte dann bedrückt: » Es muß schrecklich für dich gewesen sein, all diese Jahre. «
Kate runzelte die Stirn. » Schrecklich? Wie meinst du das? «
» Du reist jetzt seit zehn Jahren umher als seine Tochter. «
» Und warum «, sagte sie empört, » sollte das schrecklich sein? «
» Schlimm genug, daß er ein Jude ist, aber obendrein ein Grabräuber, ein Mörder … du bist ihm bemerkenswert ergeben, wenn man bedenkt … «
Ohne nachzudenken, holte sie aus, um ihn zu schlagen. Er packte ihre Hand, bevor sie sein Gesicht erreichte, und hielt sie fest. Er sa h d en Zorn und die aufsteigenden Tränen in ihren Augen und begriff, daß seine Überlegungen sie tief verletzten. Sie liebte den Mann, wie sie einen echten Vater geliebt hätte.
Nach ein paar angespannten, reglosen Momenten flüsterte er:
» Es tut mir leid. Ich wollte nicht respektlos sein. « Er küßte ihre geballte, zitternde Faust zärtlich und bittend. » Es war voreilig und töricht, so zu sprechen. «
Kate riß ihre Hand los. Ihre Wangen waren gerötet, und als sie endlich das Wort ergriff, klang ihre Stimme düster. » Père ist der beste Mensch, den ich je gekannt habe. Er ist von weit edlerem Geist als derjenige, der mich gezeugt hat. Ich habe in seiner Obhut nie etwas entbehrt. Er hat mir
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